Zum Artikel Saalhauser Bote Nr. 14, 1/2004
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Der Saalhauser Bote schrieb an Pater Bernhard und heraus kam ein Osterbrief (noch) aus Leipzig
Von
F.W: Gniffke
Herrn Pater
Bernhard Trilling
Witzgallstr. 20
04317 Leipzig
Lieber Pater Bernhard, der
Saalhauser Bote ist irritiert: kein Weihnachtsbrief aus Leipzig hat
ihn erreicht. Solltest du etwa, wie du es vorhattest, versetzt sein?
Oder bist du in Umzugsvorbereitungen?
Wir wollen doch den Saalhausern
im Boten von dir berichten. Viel zusätzliche Arbeit soll es
natürlich nicht auch noch machen. Am 10. März ist
Redaktionsschluss. Ich würde mich freuen, wenn du uns auf dem
Laufenden hältst.
Viele Grüße
Friedrich W. Gniffke
Lieber Saalhauser Bote!
Mein Allgemeinzustand vor, an
und nach den Weihnachtstagen war nicht der beste: Eine kräftige
und anhaltende Grippe zwang mich, die wenigen mobilisierbaren Kräfte
auf das
„Feiertagsgeschäft“
zu konzentrieren und das war sehr arbeiterfreundlich und
priesterfeindlich: Die Feiertage lagen alle mitten in der Woche, so
dass alle zwei Tage eine Predigt vorbereitet werden musste. Das
bedeutet in den Kernlanden der Reformation, dass auch am zweiten
Feiertag oder am Dreikönigstag gepredigt werden muss. Da der
Kaplan und ich an jedem Sonn- und Feiertag fünf Gottesdienste zu
bewältigen hatten, sang ich dann am Ende der Weihnachtsferien
das Lieblingsweihnachtslied des katholischen Pfarrers: „ In
Dulci Jubilo - ich werfe mich ins Plümo“ (Plumeau für
die Altbackenen).Und im Plümo bin ich dann noch etlicheTage
geblieben, nur meine Weihnachtsgrüße werden auf wundersame
Weise in Ostergrüße verwandelt werden. Jetzt geht’s
mir aber wieder blendend. Der Saalhauser Bote wird mit großer
Begeisterung von meiner Schwester Elisabeth, die einmal im Jahr von
Venezuela hierher kommt, gelesen. Wir tauschen dann, angeregt durch
die heimatlichen Impressionen, so manches Kindheitserlebnis aus, das
schon fast wieder in die Sparte „ Saalhauser Volkskunde“
gehört. So etwa auch die Erinnerungen an „ Lütteke
Fastnacht“ mit dem „Heischegang“ (so nennt sich
das volkskundlich), also dem Erbitten von kleinen Mettwürstchen
und Süßigkeiten, was immer bei„Kleffs Mariechen",
einer hochbetagten Jungfrau, die, wie es sich gehörte, später
im schneeweißen Sarg beerdigt wurde, zum Problem geriet: Wir
verscheuchten ihr mit unseren Fastnachtsmasken die Hühner. Da
sie Meisterin im Langzeit-
schimpfen war, räumten wir
dann lachend das
Feld. Kleffs Mariechen wohnte bei „ Modes" so stand es
wohl mal als Reklame über dem Putzmachergeschäft. Sie hielt
sehr am heimischen Brauchtum fest und sammelte am Gründonnerstag
die ersten jungen Brennnesseltriebe, die, noch ganz ohne Stacheln,
ein schmackhaftes, spinatähnliches Gemüse ergaben, wie ich
es auch von zuhause her kannte. Allerdings ging sie zu diesem Zweck
fast die ganze Kirschlade hinauf. Als sie deshalb gefragt wurde,
warum sie nicht unten im Dorf ihre Brennnesseltriebe sammele,
antwortete sie, (leider kann ich es in Plattdeutsch nicht mehr so
richtig wiedergeben) da unten wären zu viele Ruiens und
Mannsluie, was offensichtlich der Jungfräulichkeit der
Pflanzen erheblich schadete. In der anschließenden Fastenzeit
wurde wirklich kaum Fleisch gegessen und Süßigkeiten
wurden für Ostern gespart und gesammelt. Nur ein Tag brach das
Fasten, und das war der Josefstag (19.März), Namenstag des
Hauptlehrers Josef Stöwer aus Fleckenberg und auch der meines
Vaters; morgens gab es nach einer Glückwunschstunde schulfrei.
Hauptlehrer Stöwer war ein tüchtiger, aber etwas leicht
erregbarer Pädagoge, allzu unruhigen oder unaufmerksamen
Schülern warf er auch schon mal ein Feder- messerchen oder eine
Schere an den Kopf, selbst von einem Tintenfass war die Rede.
Das Namenstagsfest zuhause wurde
so gefeiert, wie heute der Geburtstag: Die Tante aus Altenhundem kam
und brachte, o Wonne, eine Tüte Apfelsinen mit. Es gab das
pikante Saalhauser Zwiebelgemüse mit gekochtem Kalbfleisch und
Meerrettichsoße und anschließend Karamellpudding, der,
mit Kartoffelmehl angerührt, so schön vom Löffel
„glitschte“, und dann gab es Torten, die schon fast den
Anspruch eines alten Marienliedes erheben konnten: „Wunderschön
prächtige, hohe und mächtige…“
So waren wir für den Rest
der Fastenzeit gerüstet.
Die vielen
dampfenden Mistwagen mit künstlerisch glatt geklopften Ladungen
kündigten den Frühling an, die Palmkätzchen blühten
an den Weiden und bildeten die Reiserbesen ähnlichen Palmstöcke,
die zur Palmweihe am Palmsonntag mit in die Kirche genommen wurden
unter den Gesängen des: Jesus, König, Gott und Herr, Dir
sei Glori Preis und Ehr. - Die Glori, das war das
sprachliche Spezifikum, das mit dem Wechsel von den Kölner
Heiligen drei Königen zum Paderborner Liborius eingehandelt
wurde, weil sich doch auf Libori nur Glori reimt, so dass auch
heute noch im „ paderbornisierten“ Sauerland nicht „Ein
Haus voll Glorie“ gesungen wird, sondern voll „Glori“.
Die Karwoche mit ihren vielen
liturgischen „Events“ war ein echter Höhepunkt.
Wenn die älteren Mädchen
von der Jungfrauenkongregation am Gründonnerstagabend nach
festlichem Orgelgebrause zum Gloria mit
„Heers Titi“
(eigentlich Maria Gastreich, die ihr Bestes gab), die Lieder ohne
Orgelbegleitung anstimmten und die Glocken noch einmal festlich
geklungen hatten und verstummt waren, dann wussten wir Kinder: Nun
sind alle Glocken der Christenheit zum großen Glockentreffen
nach Rom geflogen und sie kommen mit dem Segen des Heiligen Vaters
bedacht mit neuem Schwung zum Osterläuten in den Kirchturm
zurück.
Die glockenlosen Tage wurden von
den „Rengsterern“ überbrückt, die mit kleinen
und großen Knarren und Klappern den Angelus oder die
Gottesdienste anzeigten. Da marschierten mehrere Gruppen durch die
Ortsteile. Ich weiß, dass auch die Jenseite eine eigene
Rengster-truppe hatte.
Auf dem Dümpel gab es sogar
einen Text, der den Rhythmus angab:
„Tankt Aral - beim
Rosenthal, tankt Aral beim Rosenthal…“
Am Karsamstagmorgen wurden für
die treuen Läutedienste von den Haushalten Eier
entgegengenommen. (Ich habe noch
in trüber Erinnerung, dass ich mich zu Ostern an besagten Eiern
krank gegessen habe.)
Am Karsamstagmorgen fand dann
aber auch hinter verschlossenen Türen die Osternachtsliturgie
statt, in der der Pastor die gesamten dreizehn Lesungen, die
Allerheiligenlitanei, die Taufwasserweihe und die Eucharistie
lateinisch murmelnd mehr absolvierte als zelebrierte und dabei
gewaltige Kübel mit Taufwasser weihte, das dann hinten in der
alten Kirche stand und eimerweise abgeholt wurde. Die guten
katholischen
Saalhauser Kühe kriegten im
Krankheitsfall das Taufwasser zu saufen. Wenn das kein Glaube war!
Pastor Piel, ein liturgisch
feinfühliger Priester, nahm sofort die Liturgiereform Pius des
XII. auf und zum ersten Mal erschollen am Karsamstagabend die
herrlichen Gesänge der
Osternacht. Hans Trilling und
ich, (wir waren schon als Schüler gute Sänger), durften die
Wechselpsalmen und Antiphonen
singen: „et valde mane una sabbatorum veniunt ad monumentum
orto iam sole, alleluja“.
Und dann kam „ Das Grab
ist leer, der Held erwacht“ - oder von Friedrich von Spee das
herrliche Lied „Ist das der Leib, Herr Jesu Christ“. Das
war Osterfreude pur!
Dass der Vater, Osterhase
spielend, die Eier in ehemalige Zaunpfostenlöcher hineingelegt
hatte, und man nun mit Spitzhacke und Spaten auf Ostereiersuche gehen
musste, ist stets in meiner Erinnerung geblieben.
Heute freue ich mich an der
gepflegten Liturgie unserer Leipziger Diasporagemeinde, die immerhin
Mozarts Krönungsmesse hintereinander kriegt, aber die Liturgie
von Saalhausen in meiner Kinderzeit war gewiss eindrucksvoller.
Ich wünsche
euch in diesem Sinne gesegnete Ostern!
Ab Herbst werde ich einer neuen
Tätigkeit als Superior(Anm. d. SAALHAUSER BOTEN laut Duden:
Superior = Oberer, Vorgesetzter im Kloster) unseres Ordenshauses in
Donauwörth und Pfarrer einer kleinen Gemeinde an der dortigen
ehemaligen Abteikirche nachgehen. Dann bin ich fast 11 Jahre in
Leipzig gewesen, und ein Pfarrer, der sein Pulver verschossen hat,
soll einem Neuen Platz machen, damit die Leute nicht nur die alten
Kamellen zu hören bekommen, sondern dass das Evangelium frisch
und jugendlich weitergegeben wird.
Macht’s gut!
Euer Pater Bernhard
Schon jetzt wünscht der
Saalhauser Bote Pater Bernhard für seinen neuen Wirkungskreis
alles Gute. Bleib so, wie du bist!
Rengstertruppe am Dümpel 04.03.2003
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