Ein Finkenpärchen beim Nestbau beobachten zu dürfen ist ein Fest. Mir wurde es einmal zuteil. Vor meinem Stubenfenster stand eine Tanne mit dichtem Geäst. Dass diese Tanne alle Jahre Vogelwiegen trug, war selbstverständlich. Die Amsel wohnte drin, der Gartenrotschwanz und viele andere. Einmal hatte ich das Glück, einem Buchfinkenpaar zuzusehen, das so auffällig in dem dichten Gezweig der Tanne einher hüpfte und – schlüpfte, dass ich aufmerksam wurde. Und richtig: ich sah, wie das Buchfinkenmännchen auf einer Astgabel eifrig hin und her schlüpfte, ein Zweiglein im Schnabel. Dann warf er das kleine Ding über sich hinweg nach rückwärts. Die Finkin verstand: ihr Mann hatte entschieden. Der Platz war gefunden, auf dem gebaut werden sollte.
Und es wurde gebaut. Ein paar Zweige wurden zusammengezogen und miteinander verbunden, dass sie einen festen Grund abgaben. Der Nestboden war fertig. Dann ging es an den Nestrand. Das war nun ein rechtes Kunststück, diesen aufzubauen. Halm um Halm wurde hergetragen. Er und sie ordneten und bauten umschichtig, morgens eine gute Stunde und am Nachmittag ebenso. Sie schoben den Halm so zurecht, dass etwas wie ein Geflecht entstand, indem sie erst die eine Spitze, dann die andere mit dem Schnabel ordentlich hineinstopften, ruckweise und prüfend. So entstand schon die Rundung. Wenn der Halm festsaß, umgriff der weitgeöffnete Schnabel das Ganze und presste es zusammen, dass es wie eine schmale Wand sich erhob.
Und dann kam das Erstaunlichste und Lustigste: allemal, nach jedem gefügtem Halm setzte sich der Fink oder die Finkin in die Mitte und drehte sich rasch ein paarmal um die eigene Achse. Dabei streiften Flügel und Schwanz den Nestrand. Damit war für mich das Rätsel gelöst, der mir bei manchem Finkennest aufgefallen war. Ich wusste nun, woher die wunderbare genaueste Rundung des Nestes kam. Nicht zu groß und nicht zu klein.
Dann kam die Ausstattung. Zuerst ging es an die äußere Verzierung. So würden wir es nennen, wenn wir sehen, welch feine Moose herangeholt und in die äußere Schicht eingefügt werden. Der Vogel tut es wohl der Wärme, des Schutzes wegen. Ebenso schafft er drinnen im Nest rein zweckmäßig. Er polsterte das aus, dass die Jungen es warm und weich haben. Federn und Wolle, feinste Gräser, alles nur Findbare wird herbeigetragen. Ich hatte in dieser Jahreszeit Wolle draußen für die Vögel bereit, die gern genommen wird.
In dem Jahre, als ich das Finkenpaar beobachtete, erlebte ich eine Überraschung. Damals stickte ich an einem Wandteppich. Ich stickte mit roter Seide an dem Kleide des „Königskindes” aus dem Volkslied „Es waren zwei Königskinder”. Bei warmer Sonne saß ich gern draußen und arbeitete an dem Teppich. Dabei ließ ich die Fadenreste auf das Gras fallen und kümmerte mich nicht weiter darum. Es fiel mir nicht auf, wo sie blieben, denn es waren winzige Reste. Über mir im Baum ging der Nestbau vor sich. Eierchen wurden hineingezählt, fünf Stück. Ich sah das Mütterchen im Nest sitzen, wärmen und brüten. Ich sah die Jungen schlüpfen, sah erwachsen und wachsen. Hören tut man die jungen Finken nicht. Sie sind sehr artig, während das kleine Meisenvolk nach Futter schreit.
Dann kam das eigentliche Fest für mich. Als die Jungen flügge waren, als auch der letzte Nesthocker ausgeflogen war, öffnete ich wieder das Fenster vor der Tanne. Bis dahin hatte ich es geschlossen gehalten, um das große Wunder nicht zu stören. Ich nahm das Nest an mich und siehe da es war im Innern ganz mit roter Seide ausgepolstert. Darum hatte ich keine Fädchen mehr im Gras gesehen. Die klugen scharfen Augen der Vögel hatten alles aufgelesen, und dieses kostbare Gut war ihnen gerade tauglich gewesen zur Wiege für ihre Kleinen. Herrlicher sind gewiss keine Finken zur Welt gekommen als diese in meinem Baume.