Saalhauser Bote Nr. 15, 2/2004


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Unsere Kleine Welt, Saalhausens vergessene Wege

Der Wormbacher Weg II

- von Friedrich Reinarz -


Im letzten Beitrag riefen wir uns den Kirchweg von Saalhausen zur Urpfarrkirche Sankt Peter und Paul in Wormbach ins Bewusstsein. Wir folgten unserem Weg durchs Einegge über den Böddesbach entweder oben über den Goldstein oder unten durch das tief eingeschnittene Bett des Siepens in der hohen Schlade auf den Sattel.


Der weitere Pfad nach Norden über die Rücken von Böddes oder Bordes und Lammerkopf wird heute durch die Grenze zwischen den Gemeinden Lennestadt und Schmallenberg, und damit der zwischen den Kreisen Olpe und Hochsauerland, begleitet. Der Greitemann-Stein bildet jetzt deshalb auch den Punkt, an denen die Gemarkungen von Saalhausen, Werntrop und Lenne zusammentreffen.


Die östliche Kreisgrenze hier gab es vor der Gemeindegebietsreform von 1975 noch nicht, denn da reichte der Kreis Olpe weiter bis unter den Beerenberg vor Fleckenberg. Dort steht an der Bundesstraße 236 noch der alte, ich meine ansehnliche, Wappenstein mit dem kurköllnischen schwarzen Kreuz.


Die Nachbarn in Hundesossen und Lenne waren traditionell mit uns vereint im Bilsteiner Land und im Lenneamt. So ritt man denn auch beim letzten Generalschnadezug der Ämter Bilstein und Fredeburg im Jahre 1778 keinesfalls am Greitemann-Stein vorbei. Am 8. Juni beginnend hatte man täglich mit den jeweiligen Schützenkompanien der umliegenden Dörfer eine Etappe zurückgelegt. Am 16. Juni zog man mit dem Ausschuss des Kirchspiels Lenne "vom alten Schlagbaum in der Glöer unter Christes Hude rechter Hand durch das hohe Lembergseiffen bis an den Fuß des sogenannten Hohenlembergs herauf bis auf die Spitze, demnächst der Wasserwaage nach bis auf die Scharfemicke unter dem nunmehr abgebrochenen Jagdhaus, auf den ein Steinwurf weit davon stehenden Stein, vor dem Hülsberg herauf über den Auergang der Wasserwaage nach über den Hohenhagen obig dem Dahl, all der Wasserwaage nach den Berg herunter bis an Lutters Kamp zu Marpe" (Klemens Stracke in Heimatstimmen Olpe 1954). Am Ende des Protokolls hat sich der Gerichtsschreiber Koch vertan. Er musste Werpe, nicht Marpe schreiben, denn der erste Hof im Westen dieses Ortes heißt Lutter.


Zu dieser Zeit endete die Saalhauser Mark also nicht vor dem Auergang, sondern auf der Wasserscheide Hoher Lehnberg - Auergang - Ösenberg.


Der heutzutage so stille Winkel hat früher mehr Menschen gesehen. Unterhalb des Weges im Lammerkopf erstreckten sich die Flöze der Bleierzgrube Wachtel, später Abcoude. Zeitweise gab es da für so manchem unter und über Tage harte Arbeit für kargen Lohn.


Eine Karte der Grubenfelder um Werntrop aus dem Jahre 1875 veröffentlichte Heribert Gastreich im Saalhauser Boten Nr. 12. Wer sie studiert, wird östlich des Auergang die Flurbezeichnung „In der Silberkuhl“ entdecken. Solche Namen für die oberflächennahen Gruben rühren daher, dass beim Verhütten von Bleierz sich der etwa einprozentige Anteil des Edelmetalls gern als feiner spiegelnder Hauch an den Tiegeln niederschlug. Dieser "Silberblick" regte natürlich die Fantasie an und spornte zum weiteren Schürfen, schließlich konnte es mehr werden. Irgendwie verband der einfache Mensch im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit wegen der Silberwährung einen Fund mit persönlichem Reichtum, obwohl die Regalien der Grundherren das nicht zuließen.


Zunächst argwöhnte ich, dass der Name in die Karte aufgenommen wurde, um dem Bergbauinteressenten traditionelle Fundstätten vorzugaukeln. Tatsächlich ist aber der Flurname, der auf dem bislang namenlosen Sattel zwischen Auergang und Ösenberg steht, auch heute noch lebendig.

Antonius Grothof und Gerhard Voß aus Werntrop machten mir deutlich, dass der Flurname "Silberkuhl" schon immer für den gleich unter dem Sattel liegenden von der Wittmecke aufsteigenden Hang zum Ösenberg gebraucht werde. Früher ließ man in den dort vorhandenen tiefen Löchern so manches verschwinden, was man nicht mehr brauchte. Dort wurde vor etwa 80 Jahren Fichtenwald aufgeforstet und dadurch Boden ausgeglichen. Vorher war die Fläche mit Heidekraut kniehoch bedeckt. Vermutlich wurde sie früher abgeplaggt, denn die Bäume tun sich schwer, obwohl es nicht an Feuchtigkeit mangelt.


In der Saalhauser Chronik taucht die "Wiese in der Silberkuelen" bei den Urkunden für das Gut Wullenweber 1593 auf. Günther Becker lässt bei seiner Darstellung des Bergbaues offen, ob dies mit Erzschürfen zu verbinden ist. Der Flurname galt als nicht zu lokalisieren. Auch wenn Professor Albert Hömberg erklärt, dass dieser Flurname im Sauerland zahllos vorkommt, gehe ich davon aus, dass dort "unsere" Silberkuhle liegt. Denn neben dem Gleiertal ist bei uns keine Gegend so von Pingen übersät wie die um den Auergang.


Vom Greitemann-Stein verläuft unser Kirchweg nordöstlich über den Ausläufer des Auergangs hinüber zum Pass oberhalb der Wittmecke-Quelle. Zeigen sich auf dem Sattel noch mehrere wenig ausgeprägte Hohlwege, so wird das am Nordhang des Ösenberges sofort anders. Mindestens zwei Trassen sind hier trotz erkennbaren Verfüllens noch vier Meter tief, sie waren ursprünglich noch zwei weitere in den Boden eingefräst. Der nackte Fels wurde durch Verkehr und Erosion meterhoch aus dem Hang geschnitten.


Diese Etappe führt recht gradlinig etwa 2000 Meter vom Kamm an Ösenberg und Hoher Hagen entlang bis zu dessen flachen Übergang zwischen Hombert und Gresenberg, danach durch die Kultivierung nicht mehr so deutlich auf den Ort Felbecke zu. Bis nahe dem Zusammenfluss von Dahle und Werde steigt sie dabei von rund 600 Höhenmetern auf unter 390 ab.

Auf dieser Strecke verlassen zwei Hohlwege unsere Trasse nach Norden. Der erste läuft nicht etwa auf Werntrop, sondern verliert kaum Höhe, schneidet die Linien der Heidenstraße und steuert über Grüneberg und Rosthagen schnurstracks Niederberndorf an. Der nächste verhält sich ähnlich und führt durch Selkentrop auf die beiden Berndorf.

Es ist aber nicht so, dass unser Weg dadurch weniger markant würde. Denn zunächst fängt er wie schon auf dem Sattel am Auergang einen Weg aus der Stilpe einen zweiten von Hundesossen über den Eben, Ösenberg und schließlich einen dritten aus der Burbecke ein. So behauptet sich unsere Linie zunehmend. Am Nordhang des Hohen Hagen im feuchten Grund oberhalb der Heismecke-Quelle zeigt sie sich in nicht weniger als zehn Hohlwegen.


Westlich vor Felbecke sehen wir unseren Kirchweg mit der Heidenstraße vereinigt. Die Felbecker wissen noch, dass vor dem letzten Weltkrieg da mindestens ein über drei Meter tiefer Hohlweg war, wo heute die Landstraße 737 auf einem hohen Damm von Bracht nach Schmallenberg verläuft. Im Dorf führt sie als "Alte Straße" (!) weiter nach Osten, quert die Dahle, dann die Werde und steigt auf die Haardt, der westlichen Schulter der Wormbacher Egge. Weiter steuert sie schnurgerade über den flachen Nordhang der Egge und auf den Wormbacher Berg nördlich von Schmallenberg zu.




Am Abzweig Heidenstraße—Wormbacher Kirchweg

(heute K 31) wachen Heiligenhäuschen und Wegekreuz


Beim Aufstieg zur Hardt prägte die Heidenstraße einen mächtigen Hohlweg, jetzt teilverfüllt und befestigt. Hier zweigt der Weg zum Kirchort links ab und umgeht die Egge im Norden. An der Gabel steht ein großes hölzernes Wegekreuz mit Korpus und ein Heiligenhäuschen, welches ein in Münster als Vikar zu Würden gekommener Everhard Henricus Vogt der Gottesmutter widmete.


Auf den Karten vor rund 200Jahren ist der Abzweig an dieser Stelle deutlich. Die die Wormbacher Quellmulde nach Süden abschirmende Bergkette trägt auf einer alten Karte den Namen "Haar", galt offenbar damals als eine das Hawerland abschließende Höhen- und Wegelinie.

Ursprünglich war unser Kirchweg ebenfalls ein Hohlweg, der sich kurz vor dem Kirchhof mit dem bekannten Landenbecker Totenweg vereinigte. Heute bedeckt ihn größtenteils die Kreisstraße 31 von Felbecke nach Obringhausen. Die führte früher wie er ins Zentrum von Wormbach. Erst die Verlegung der Straße bescherte dem früher als Wormbeke zitierten Platz die erholsame würdige Ruhe.


Die Strecke von Saalhausen bis Wormbach ist etwa zehn Kilometer lang; man geht zweieinhalb Stunden. Wie erleichtert müssen unsere Vorgänger gewesen sein, wenn sie endlich die Kirche erblickten. Wir sollten uns einen Leichentransport mit Ochsenkarren als normal vorstellen. Dabei war der Weg einsam. Brachten auch die Christen aus dem Hundemraum ebenfalls ihre Toten, vielleicht auf dem gleichen Weg dorthin, so waren doch die Besiedlung und Fuhren derart gering, dass die Wege kaum eingeschlagene Schneisen in der Landschaft bildeten. Ihre so augenfällige Deutlichkeit in tiefen Hohlwegen fanden sie erst nach einer erheblichen Bevölkerungszunahme und Verkehrsdichte ab dem Spätmittelalter. Dann allerdings war unser Kirchweg Bestandteil eines Wegenetzes um Heidenstraße, Kriegerweg und meines Erachtens einer Frachtlinie auf Fredeburg, Brilon, Marsberg.




Die Kirchenbesucher damals grüßte nicht von weitem ein barocker Turmhelm, sondern sie fanden einen schlichten Saalbau inmitten eines Friedhofes. Doch in weitem Umkreis konnten sie allein hier die Taufe empfangen und ihre Toten in geweihter Erde bestatten.

Dieses christliche Zentrum bildet in unserer Zeit eine beinahe verschlafene Idylle. Es gibt auch keinen Hinweis, dass hier mehr war als zwei Höfe und die Kirche. Dagegen bildeten alle anderen Urpfarren in Westfalen bereits zur Gründung im 8. oder zu Beginn des 9. Jahrhunderts relativ wichtige Plätze und wuchsen später zu Städten.


Diesen Umstand macht Professor Kaminski zum Ausgang seiner Überlegungen und stellt dann logisch dar, dass die Egge eine vorzeitliche Warte zur Beobachtung der Mond- und Sonnendurchgänge an natürlichen Horizontmarken im Jahresverlauf gewesen sein kann. Daran schloss sich erklärlich eine vorchristliche Kultstätte an der nahen Quelle des Wormbaches an.


Die Karl dem Großen auf den Heerwegen folgenden Missionare können deshalb gerade an dieser Stelle eine Kirche errichtet haben. Damit folgten sie einer Anweisung Papst Gregor des Großen um 600, die heidnischen Plätze nicht zu zerstören, sondern christlich umzuwandeln.

Im Wissen um die alte mystische Bedeutung dieser Stelle und mit Rücksicht auf die Überlieferungen in den Köpfen der weitläufigen Gemeinde gestalteten die Benediktiner aus dem Kloster Grafschaft als Bauherren die einmalige Deckenbemalung in der jetzigen Nachfolgekirche aus dem 13. Jahrhundert: Die heidnischen Tierkreiszeichen und die Gestirne zusammen mit dem Weltgericht!


Unseren Vorgängern diente der Kirchweg nach Wormbach als gelebter Glaube. Als Gang zu einem heimischen Kleinod der christlichen Geschichte und Kunst sollte er uns wert sein.



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