Saalhauser Bote Nr. 17, 2/2005
- von Margret Graß -
Der Saalhauser Bote hatte Zeitzeugen aufgefordert, über ihre Erinnerungen an den Einmarsch der Amerikaner im April 1945 zu berichten.
Frau Deitmer erklärte sich gleich bereit, über Ihre Erlebnisse der letzten Kriegstage zu erzählen.
Es war Anfang April 1945, als die Amerikaner Saalhausen einnahmen, und der Ort unter den letzten Kriegshandlungen zusammengeschossen wurde.
Zu der Zeit lebten meine Mutter, Margarete Gerlach, und eine Tante meines Mannes mit im Haus; sowie unsere Kinder, Christian 6 J, Georg 5 J, und Brigitte 2 Jahre alt.
Es war am Tag vor Weißen Sonntag. Ein deutscher Offizier kam ins Haus. Er forderte uns auf, das Haus am anderen Tag zu verlassen, denn dann würde der letzte Widerstand gebrochen.
In weiser Voraussicht hatte mein Mann, der bereits seit dem Herbst zurück war, im Böddes eine Holzhütte errichtet. Diese Unterkunft war doppelstöckig, mit einem Dachboden. Dort hatte er mit Hilfe von Ernst Zimmermann bereits Tage vorher Vorräte gelagert, Konserven und notwendige Lebensmittel..
Morgens um 4 Uhr zogen wir über die Hauptstraße in Richtung Lenne, Brigitte im Kinderwagen, Georg im Sportwagen. Margret Meschede (geb.Hennes) half mir bei den Kindern.
In Höhe von Steinhanses – unter der Legge - war eine Straßensperre errichtet, und wir mussten umkehren.
Über das Bahngelände gelangten wir durch einen Hohlweg in den Böddes. Wir lebten in ständiger Angst vor evtl. Angriffen.
Als wir die Hütte erreichten, waren bereits etwa 10 Personen aus dem Einegge dort. Sie wurden aufgefordert auf dem Dachboden zu quartieren, denn die Hütte war ja 2-stöckig.
Oben wurde ein Lager aus Tannenästen eingerichtet, die aber nach 2 Tagen rieselten. Wir schliefen unten auf Stroh.
Für die Kinder war es eine herrliche Zeit. Es war Anfang April und sehr warmes Wetter. Die Kinder konnten im Wald spielen und freuten sich, dass sie sich nicht zu waschen brauchten.
Wie bereits gesagt, Lebensmittel waren da, und es gab eine Kuh, die die Flüchtenden aus dem Einegge mitgebracht hatten, sodass es am notwendigen Lebensunterhalt nicht fehlte. Wenn bloß nicht immer das Heulen und Donnern der Fugzeuge zu hören gewesen wären!
In einer Nacht wurde auch der Wald beschossen. Steinbrocken flogen aufs Dach, und wir glaubten: “Jetzt ist es aus!“ Gott sei Dank bekamen wir keinen Treffer mit.
Es lebten ca 50 Personen in der Hütte.
Einmal kam ein Jeep angefahren. Die Soldaten durchsuchten die Hütte nach Alkohol oder Waffen, fanden aber nichts. Wir hatten zwar Kisten mit Alkohol gelagert, diese aber als Konserven deklariert. Die Schnapsvorräte bewahrten wir für eine Drogerie Stens aus Bochum auf.
Wir hatten noch einmal Glück gehabt.
In diesen Tagen führten wir ein regelrechtes Zigeunerleben. Die Kuh lieferte Milch. Meine Mutter (mit Kopftuch und Schürze) briet am offenen Feuer einen Hammel. Ernst Zimmermann hatte ihn von einem Schäfer im Böddes bekommen.
Einmal ging ich mit Margret Meschede ins Dorf, um nach dem Vieh zu sehen und weitere Vorräte zu holen. Wir hatten im Keller noch etwas in einem Steinbottich eingelagert, abgedeckt mit einer Holzplatte auf der eine Muttergottes Statue stand. Aus lauter Ehrfurcht vor der Figur waren die Vorräte unberührt geblieben.
Einmal nahm mein Mann unseren Sohn mit ins Dorf. Ihr Weg führte über Metten Hof auf die Jenseite. Christian war so geschockt vom Anblick der zerschossenen und abgebrannten Häuser, der allgemeinen Verwüstung, den toten Tieren am Wege, dass er tagelang zusammengekrümmt in seinem Bett lag, nicht sprach und auch jedes Essen verweigerte.
Ich kehrte donnerstags ins Haus zurück. Zum Glück hatten wir die Haustür nicht verschlossen. Sie wäre vermutlich gewaltsam geöffnet worden, und der Schaden wäre noch größer gewesen durch die Zerstörung.
Es bot sich ein Bild des Grauens und der Verwüstung. Ich machte mir heißes Wasser und fing an zu putzen. Als die übrige Familie am Samstag zurückkehrte, war wenigstens wieder alles sauber.
Unser Haus war von einer Granate getroffen worden und hatte einen Durchschuss. Durch den Luftdruck hatte sich das Dach gehoben. Kein Fenster war mehr ganz.
Wir nahmen Bilder aus ihren Rahmen und mit dem Glas versuchten wir notdürftig die Fensterscheiben zu ersetzen. In allen Räumen herrschte großes Durcheinander. Porzellan lag zerstreut am Boden, die Schränke waren durchwühlt, Truhen aufgebrochen.
Wertvolles Tafelsilber und Schmuck hatten wir Gott sei Dank vergraben, und es war nicht entdeckt worden.
Berta Kleinsorge, unsere Hausschneiderin und fast Ersatzmutter für unsere Kinder, war besorgt um ihre Nähmaschine: “Wenn die bloß ganz geblieben ist!“ Das war zum Glück der Fall.
Im Hof waren das Backhaus, der Schweinestall, der Holzschuppen und die Hälfte der Scheune zerschossen. Mein Mann versuchte das Dach des Hauses zu flicken. Da aber alles morsch und zerschossen war, hielt die Leiter nicht, und er fiel zu Boden. Er verletzte sich am Knie, hat lange in Altenhundem im Krankenhaus gelegen und dann noch im Bergmannsheil in Bochum. Seitdem musste er am Stock gehen.
Da unsere Häuser wahllos durchwühlt und geplündert worden waren, fanden wir Dinge im Haus, die ins Nachbarhaus gehörten. Eines Tages kam Zimmermanns Thea und hatte Schmuck gefunden. Sie glaubte, dass die Stücke mir gehörten. Ich kannte aber die Besitzerin und konnte sie Frau Schulte vom Neuenhaus zurückgeben.
Alle waren glücklich, dass es keinen Fliegeralarm mehr gab und dass endlich Ruhe eingekehrt war.
Der Saalhauser Bote bedankt sich sehr herzlich für Ihren Bericht.