Über die Jahrhunderte haben sich auch im Sauerland die Bräuche vor und während einer Hochzeit bedeutend verändert. Fragt man heutzutage junge Leute, was sie unter einem "Brautwagen" verstehen, kommen Vorschläge wie Limousine oder „Stretchlimo“. Dass dies nicht immer so war, beweist der historische "Brautwagen", ein Fuhrwerk, auf dem die Braut mit ihrer Mitgift durch die neue Heimatgemeinde zum Haus ihres Bräutigams gefahren wurde.
Bei unserer Leserin Vera Schmelter-Maschke fanden wir in einem Fotoalbum ihres Vaters Helmut Schmelter Fotos aus den 1960er Jahren und einen Zeitungsbericht vom Dienstag 11. Juni 1953. Pensionsgäste von Helmut Schmelter haben im Ruhrgebiet von ihrer Erfahrung im Sauerland berichtet, wo sie an den Hochzeitsfeierlichkeiten ihres Pensionswirts Helmut teilnahmen.
Auf den Fotos empfängt Veras Vater am Hochzeitstag, 07.05.1953, mit Zylinder und Schlafanzug den Brautwagen seiner Ehefrau Anni, die er während seiner Ausbildung in Hagen kennengelernt hatte. Mit Getränken, die er den Umstehenden ausschenkt, bahnt er den Weg des Brautwagens über die Lennebrücke zum neuen gemeinsamen Heim „ Auf der Jenseite“ in Saalhausen. Während früher ein offener Leiterwagen als Brautwagen diente, auf dem die Aussteuer der Braut von allen Umstehenden begutachtet werden konnte, kam bei Schmelters schon die moderne Variante in Form eines Kastenwagens zum Einsatz.
Im konkreten Fall lässt sich anhand der Fotos von Helmut Schmelter nicht auflisten, was seine Braut in die Ehe mitgebracht hat. Historische Beschreibungen nennen präzise, was eine Mitgift enthielt. Die zukünftige soziale Stellung der Braut innerhalb der neuen Heimatgemeinde hing entscheidend von diesem Faktor ab. Je größer die Aussteuer war, umso wohlhabender war die Braut und so höher war ihr Ansehen in der Dorfgemeinschaft.
Recherchen zum Thema „Brautwagen“ ergaben, dass früher eine Braut neben Weißwäsche (Bettbezüge, Nachthemden, Tischdecken und Servietten) auch Handtücher, Schürzen, Porzellan und vor allem ein Schlafzimmer mit in die Ehe einbringen sollte. Nicht selten war eine Kuh am Brautwagen befestigt, weiteres Kleinvieh befand sich in Käfigen auf dem Wagen.
Wenn die Brauteltern vermögend genug waren, dann enthielt die Aussteuer auch Leinenballen oder Flachsbündel, aus denen das Garn für Stoffe gesponnen wurde. In Saalhausen boten die Mitarbeiterinnen der Stickerei und Weißnäherei Geschwister Gastreich die Möglichkeit, auf Nachthemden oder den sogenannten "Paradekissen" die Initialen der Braut sticken zu lassen.
Paradekissen waren nur zur Dekoration bestimmt und nicht für den täglichen Einsatz, so dass diese Kissen ein Leben lang hielten. Auf vielen Trödel- und Antikmärkten findet man heutzutage solche Kissen, Tischdecken und Stoffservietten mit dem Monogramm der ursprünglichen Besitzerin in Form der Anfangsbuchstaben des Vor- und (Familien-) Mädchennamens. Das Foto zeigt das Paradekissen der Mutter von Hiltrud Schröder, geborene Tröster.
Seit wann es diesen Brauch eines Brautwagens gibt, würde längere Recherchen benötigen. Doch der folgende Bericht stammt aus dem Jahr 1876 und da gab es diesen Brauch also schon:
Am ersten, dem „Brautwagen“, kann man sich nicht satt sehen, so reich ist er mit Blumen und Laubgewinden geschmückt, eine Sitte, die Braut heimzuführen, die man sich nicht schöner denken kann. Sobald der Wagen hielt, kam der alte Vater die hohe steinerne Haustreppe herab und reichte seiner Schwiegertochter zum Willkommen ein Glas echten alten Kornbranntweins dar.
Quelle: Die Gartenlaube, Heft 17 - Herausgeber: Ernst Keil, Erscheinungsdatum: 1876