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Saalhauser Bote Nr. 26, 1/2010
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Bauerntrotz - Ein Artikel des Historikers Albert K. Hömberg

- von Alexander Rameil -
 

In der Osterausgabe des 14. Saalhauser Boten 1/2004, schrieb ich über die Rameils aus Saalhausen, ihren Ursprung und ihre Ausbreitung.  

Der älteste Rameil, Heinrich Rameil, geborener Heinrich Welter aus Oberhundem, taucht mehrmals bei einem Erbprozess auf, den sein Schwager Heinrich Schulte und dessen Ehefrau Agatha geborene Welter, gegen ihren ältesten Bruder Thonis Welter aus Oberhundem führten. Hieraus entstand ein Aufsatz des westfälischen Historikers Albert K. Hömberg, den ich erwähnte und hier folgen lasse. (Albert K. Hömberg: Bauerntrotz, F.35, 1959, S. 45), (Staatsarchiv Münster, Reichskammergericht S. 2633.)  

„Bauerntrotz” In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts lebte in Oberhundem ein reicher Bauer: Dietrich Welter. Es war ein erstaunlich reicher Bauer, wie es sie um 1500 im Sauerland hier und da gab, wie sie aber schon um 1600 gar nicht mehr denkbar waren, weil die immer mehr anschwellenden Schatzungen den bäuerlichen Reichtum verzehrten und selbst die großen Freihöfe an den Rand des Abgrunds brachten.  

Welter besaß nämlich nicht nur den Welters Hof in Oberhundem, ein Freigut, das nach dem Schatzregister von 1536 mit fünf Goldgulden Schatzung unter den Oberhundemer Höfen an der zweiten Stelle stand, sondern dazu noch vier andere Güter, nämlich je einen Hof in Albaum, Saalhausen und Hundesossen und das wüste Freigut Homert, das bei Oberhundem gelegen zu haben scheint, dazu ein Viertel eines Hofes (Rhammes) in Schwartmecke und eine Erbrente aus Jacob Wullenwebers Hof in Saalhausen.  

Außer dem zu diesen Höfen gehörenden Inventar besaß Dietrich Welter in der Grafschaft Wittgenstein 27 Kühe und 100 Schafe; dazu hatte er rund 300 Goldgulden bei verschiedenen Schuldnern ausstehen und von dem Junker Johann v.Oell 18 Malter Korn und 20 Ziegen zu fordern.  

Dietrich Welter und seine Frau Alheid (Eickelmann) hinterließen vier Söhne und zwei Töchter. Von den Söhnen übernahm der älteste, Thonis Welter, das elterliche Freigut zu Oberhundem und dazu das wüste, anscheinend überwiegend aus Wald bestehende Gut Homert. Der zweite Sohn, Hans, erhielt den Hof zu Albaum, der dritte, Heinrich, den Rameils ( Teil von Eickelmanns) Hof zu Saalhausen, der vierte, Christian, den Hof zu Hundesossen.  

Die beiden Töchter wurden offenbar noch zu Lebzeiten der Eltern ausgesteuert und abgefunden, wie es bei den Freibauern des Sauerlandes üblich war; die eine, Else, heiratete den Großbauern Jacob Wilmes in Fleckenberg, die andere, Agatha, den Johann (Heinrich) Schulte zu Stelborn im Kirchspiel Oberhundem, das damals noch Sterbelen genannt wurde.  

Der Schultenhof in Stelborn gehörte zu den zahlreichen Gütern, welche die aus dem Kirchdorf Ohle im Lennetal stammenden Herren v. Ole oder v. Oell im Hundemer Ländchen besaßen; die auf dem Hof sitzende Bauernfamilie war eigenhörig, so dass Agatha, als sie auf den Hof heiratete, sich in die Hörigkeit der v. Ole begeben musste.  

Der Familie Welter war diese Verbindung offenbar nicht recht; denn als reiche Freibauern sahen sie mit Hochmut auf den hörigen Schulten herab, wie noch einzelne Wendungen in den Prozessakten erkennen lassen. So fühlte sich Agatha von ihren Angehörigen missachtet; die bescheidene Abfindung, die sie bei ihrer Heirat erhalten hatte, erschien ihr angesichts des Reichtums ihrer Eltern als gar zu gering. Solange die Eltern lebten, regte sie sich nicht, aber nachdem dieselben gestorben waren, forderte sie von ihrem ältesten Bruder die Abtretung des Gutes Homert, was dieser ablehnte, weil sie nach Landesbrauch abgefunden sei und das genannte Gut obendrein ein Freigut sei, das gar nicht an eine Hörige kommen dürfe.  

Das Gericht in Bilstein, bestehend aus dem Richter Martin von der Hardt, dem Schreiber Anthonius Vasbach und dem Schöffen Franz von der Hardt, Heinrich Schönemundt und Johann Kremer, erkannte die Einwände des Thonis Welter an und lehnte die Klage des Heinrich Schulte und seiner Frau ab. Diese aber gaben sich mit dem Gerichtsentscheid nicht zufrieden, sondern wandten sich beschwerdeführend an den Erzbischof Adolf, ihren Lehnsherren, der darauf zunächst am 31. August 1550 den Offizial Dietrich von Ham und den Landdrosten Hennich Schüngel mit einer Untersuchung des Streitfalls beauftragte. Als diese zu keiner Klärung führte, beauftragte er am 7. September 1555 den Werler Official Kleinsorge, den bekannten Verfasser der „Kirchengeschichte von Westphalen” und Rentmeister Wilhelm Brandis, mit einem neuen Verfahren. Obwohl aus Westfalen gebürtig, sahen die beiden aus dem städtischen Patriziat entsprossenen gelehrten Richter- Gerhard v. Kleinsorge war Licentiat der Rechte- die Sachlage anders als die freien Bauern des Hundemer Landes und das Gericht zu Bilstein; denn was wussten sie schon von den Rechtsgewohnheiten der Sauerländer Freibauern?  

Vergebens schlug Thonis Welter vor, die Schöffen und Setzgenossen des Amts Bilstein als Zeugen zu vernehmen; sie wurden vom Kläger als befangen abgelehnt und deshalb gar nicht erst vernommen.  

So verkündete der Official am 20. November 1555 ein Urteil, das dem Bilsteiner Urteil widersprach; Agatha Welter sei wie ihre Brüder voll erbberechtigt und dementsprechend von Thonis Welter abzufinden; man solle ihr das Freigut Homert übertragen, das freilich nicht mit Junkergütern vermengt, sondern an ein freigelassenes Kind der Agatha vererbt werden solle.  

Das Gericht in Bilstein zeigte wenig Eifer, diesem als unbillig empfundenen Urteil Geltung zu verschaffen. Die Realteilung des Grundbesitzes bei Erbfällen war zwar im Hundemer und Bilsteiner Land keineswegs ganz unbekannt, sondern wurde gerade im 16. Jh. in einzelnen Grenzorten, wie z.B. in Heinsberg , sehr häufig geübt; aber im allgemeinen herrschte Anerbenrecht vor und die Töchter wurden ausgesteuert. Von den beiden Töchtern des Dietrich Welter hatte die eine, Else Wilmes, dieses Recht anerkannt; ihre Familie stand wie alle anderen Angehörigen auf der Seite des Thonis Welter. Aber auch Agatha, die Frau des Heinrich Schulte, hatte fast 20 Jahre lang geschwiegen, ehe sie ihre Ansprüche erhob. So zögerte man, das Urteil auszuführen, um so mehr, als schon erkennbar wurde, dass Heinrich Schulte und seine Frau sich auch mit der Abtretung des Gutes Homert keineswegs zufrieden geben würden, sondern noch weit mehr forderten. Sie begannen am 1. April 1556 einen neuen Prozess vor dem Offizial, mit dem sie sich offenbar gut verstanden, und forderten nun nicht nur die Exekution des im Vorjahr ergangenen Urteils, sondern zusätzlich 135 Goldgulden, 60 Taler, 19 Malter Korn, 18 melke Kühe, 50 Schafe, 10 Ziegen und dazu Ersatz aller ihrer Unkosten und Schäden, deren Berechnung sie sich vorbehielten.  

Obwohl diese neuen, maßlosen Forderungen grell beleuchteten, wie wenig rechtlich die Kläger dachten, gelang es dem Schulte erneut, sich in Werl als die grundlos verfolgte Unschuld hinzustellen. Der Offizial war entrüstet über den Widerstand, den das Bilsteiner Gericht ihm, dem höheren Richter, zu leisten wagte und entschlossen, diesen Widerstand mit allen Mitteln zu brechen. So ging er denn nicht nur mit unerhörter Schärfe gegen den Verklagten Thonis Welter vor, sondern auch gegen Richter und Schöffen zu Bilstein.  

In einem recht demütigen Schreiben mussten diese, Thonis Vaßbach, der Richter und die Schöffen Hanß zu Stachelschett, Johan Voß uf der Aha, Henrich Schonemundt zum Heinßberghe, Johan Kremer zu Oberhundem, Rottger zu Herntrop, Hinrich Schwermer und Hanß Heitschotter zu Welschenendest und Cortt Hatzvelt zu Bilstein am Donnerstag nach Martini 1560 ihre volle Unterwerfung bekunden und den Vollzug eines Urteils melden, das sie mit Recht für falsch hielten.  

Von dem Offizial unter Strafandrohung zum Vollzug des Urteils aufgefordert, das Heinrich Schulte und seine Frau Agatha in ihrem Erbprozess gegen Tönnies Welter zu Obernhundem erlangt habe, hätten sie Welter in Haft genommen und erst wieder freigelassen, nachdem derselbe die Erfüllung aller Forderungen Schultes versprochen und Jorgen Wilhelms zu Fleckmardt, Hanß Huttman zu Obernhundem, Johan Momecke und Tiggeß zu Silbecke als Bürgen gestellt habe.  

Sie hätten der Agatha als Kindteil die Hälfte von Thonies Welters Erbgütern in Oberhundem und des Guts in Homerdt zugesprochen und ihr für ihren Schaden die zweite Hälfte des Guts Homerdt zugewiesen, so dass sie dieses Gut nunmehr ganz innehabe. Henrich Schulte und seine Frau Agatha hätten darauf den Bürgen die völlige Befriedigung ihrer Ansprüche quittiert.  

Aber auch damit war der Streit nicht beendet; er nahm im Gegenteil immer größeren Umfang an.  

Auf der einen Seite forderte Welter, dass, wenn schon die Güter geteilt werden sollten, Agatha doch zumindest den Brautschatz und die Abfindung herausgeben müsse, die sie früher erhalten habe, und der Amtmann und das Gericht zu Bilstein konnten nicht umhin, diese Forderung als berechtigt anzuerkennen.  

Das aber war natürlich für Schulte Grund genug, sich bei dem Offizial erneut über Richter und Schöffen in Bilstein zu beklagen. Vergebens baten diese, der Offizial möge doch nicht alle Lügen Schultes ungeprüft glauben; nicht Welter, sondern Schulte breche immer wieder die geschlossenen Verträge und sei deswegen von ihnen zu 10 Mark Brüchtenstrafe verurteilt worden.  

Immer neue, immer schärfere Mandate trafen in Bilstein ein; das Gericht und die Bürgen sollten Sorge tragen, dass die Güter Welters unverzüglich dem Schulte eingeräumt würden; alle gegen diesen erlassene Brüchtenstrafen wurden für nichtig erklärt.  

Ganz allmählich aber kamen dem Offizial doch Bedenken, ob sein Verfahren ganz richtig gewesen sei. Zu denken gab ihm sicherlich ein bitteres Schreiben der Bürgen Welters: es sei schimpflich und närrisch, dass man so viel Irrtum zwischen Bruder und Schwester anrichte, dass man immer wieder die Gerichte bemühe, nur weil die Kläger ihren Bruder und Schwager samt Weib und Kindern in die äußerste Armut und an den Bettelstab zu bringen trachteten.  

Der Agatha Schulte mache es sehr viel Freude, ihren armen, jetzt schon in äußerste Not gebrachten Bruder immer weiter in unnütze und vergebliche Kosten zu treiben, was jeden rechtlich denkenden Menschen empören müsse.  

Und noch mehr zu denken gab ihm ein Schreiben von Welters Anwalt, der das ganze Verfahren in Werl bemängelte. Dietrich und Alheid Welter hätten sechs Kinder hinterlassen, woraus sich ergebe, dass Agatha Schulte als eines dieser Kinder selbst bei gleicher Teilung nur ein Sechstel des Nachlasses fordern könne, niemals aber die Hälfte der Güter des ältesten Bruders, des Anerben.  

Von dem Sechstel, das sie bei gleicher Teilung fordern könne, aber seien der Brautschatz und die Abfindung in Abzug zu bringen, die sie bereits empfangen habe. Einer solchen klaren Darstellung konnte sich auch der Offizial schließlich nicht entziehen. Ja, es scheint, das ein Verhör, das 1562 in Werl stattfand, ihn von der Unrechtmäßigkeit seines ganzen Vorgehenns überzeugte, so dass er seine eigenen Urteile widerrief. Das Durcheinander wurde dadurch freilich nur noch größer.  

Der Kurfürst und der Landdroste griffen in den Fall ein, der dadurch nur noch mehr verwirrt wurde, da man bei seinen Mandaten und Befehlen keinerlei Rücksicht aufeinander nahm und oft Gegensätzliches verfügte. Heinrich Schulte und seine Frau waren mit diesem Verlauf der Dinge wenig zufrieden, obwohl sie sich inzwischen in den Besitz eines großen Teils der Welterschen Güter gesetzt hatten; sie hofften, alles zu erlangen, und wandten sich deshalb 1565 an das Reichskammergericht. Sie forderten den Widerruf des letzten Urteils des Offizials und die Wiederherstellung des für sie günstigen Urteils vom 20. November 1555.  

Ihre Klage richtete sich zugleich gegen den Richter und die Schöffen und Setzgenossen zu Bilstein und gegen die Bürgen Welters.  

Um den Prozess mit Nachdruck zu betreiben, begab sich Heinrich Schulte, der sich im Hundemer Land nicht mehr sicher fühlte, persönlich nach Speyer, wo er zwei Jahre verweilte; die Kosten hoffte er seinem Gegner aufbürden zu können.  

Der durch den langen Streit verarmte Welter besaß nicht mehr die Mittel, sich bei dem fernen und teuren Gericht zu verteidigen. Er ließ die Dinge treiben, und so kam es denn tatsächlich dahin, dass das Reichskammergericht, noch einseitiger unterrichtet und noch weniger in der Lage, den wahren Sachverhalt zu durchschauen, am 8. Juni 1569 unter Widerruf aller späteren Urteile und Verfügungen des Officials das Urteil vom 20. November 1555 bestätigte und Welter zu den gesamten Kosten des Verfahrens verurteilte. Der auf diese Weise von Haus und Hof vertriebene Thonis Welter schritt in seiner Verzweiflung zur Selbsthilfe, wie in dieser Zeit manche Bauern taten, die bei den Gerichten kein Recht erlangen konnten. Er sandte seinem Schwager einen Absage- und Fehdebrief und überfiel seinen Hof, raubte zwei Pferde, erstach fünf melke Kühe und zerstörte ihm ein Kohlholz. Als er auf zwei Söhne seines Schwagers und seiner Schwester traf, büßten ihn diese mit einer Tracht Prügel, dass ein Wundarzt kommen und sie wieder zusammenflicken musste.  

Im Herbst 1569 kam Heinrich Schulte selbst an die Reihe; er wurde verwundet, dass er , wie er behauptete, den ganzen Winter krank lag. Aber mit solchen Gewalttaten war das Schicksal nicht zu wenden. Thonis Welter wurde jetzt als des Landfriedensbruchs schuldig von den Behörden verfolgt und musste aus dem Lande flüchten, während seine sämtlichen Güter dem Heinrich Schulte und seiner Frau eingeräumt wurden. Auch damit noch nicht zufrieden, setzten diese den Prozess zwecks Erpressung weiterer Kostenerstattung noch 14 Jahre lang fort.  

Am 8. Oktober 1582 verwandte sich Graf Ludwig v. Sayn Wittgenstein und Homburg bei dem Reichskammergericht für seinen alten Diener Anton Welter, der in äußerster Armut lebe und sich deshalb schlechterdings nicht verteidigen könne, der auch nicht in der Lage sei, die von ihm verlangten Gerichtskosten zu entrichten.  

Und einen Monat später bescheinigte das Gericht zu Bilstein, dass sämtliche Güter des Thonis Welter im Besitz des Heinrich Schulte bzw. jetzt seines Sohns Peter Schulte seien und das deshalb nichts mehr vorhanden sei, aus dem man die verlangten Kosten bezahlen könne.  

Die „leibeigene, der Erbschaft unfähige Magt” hatte sich bitter gerächt – aber ob sie nun glücklich war?  


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