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Saalhauser Bote Nr. 36, 1/2015
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200 Jahre Westfalen

von Georg Pulte

Vor genau 200 Jahren, 1815, fand die Geburt Westfalens statt - genauer: Die Gründung der preußischen Provinz Westfalen. Viele kleine Grafschaften, Fürstentümer und Mini - Herrschaften wurden damals auf dem Wiener Kongress zum preußischen Westfalen zusammengeschoben. Die Landesgrenzen Westfalens blieben auch nach dem Ende Preußens erhalten. Sie umschließen, von wenigen Änderungen abgesehen, den Westfälischen Landesteil des Bundeslandes Nordrhein - Westfalen. Für Sie im Landwirtschaftlichen Wochenblatt Westfalen - Lippe entdeckt:

Westfalen, aber wo liegt es? Flurnamen XXL: „Westfalen” und seine vertrackte Geschichte

Was genau ist eigentlich Westfalen? Für die Gegenwart lässt sich das recht eindeutig beschreiben: Westfalen ist der östliche Teil des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen mit den drei Regierungsbezirken Münster, Arnsberg und Detmold. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe als kommunaler Dachverband vertritt die Interessen der Region. Dieses Westfalen entstand vor 200 Jahren, nach dem Sieg über Napo­leon. 1814/15 wurde auf dem Wiener Kongress Europa neu geordnet. Damals erhielt das Königreich Preußen jene Gebiete westlich der Weser zugesprochen, aus denen dann die preußische Provinz Westfalen geformt wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg vereinte die britische Militärregierung 1946 die Provinz Westfalen und die benachbarte preußische Rheinprovinz - ohne den Bezirk Koblenz - zum Land Nordrhein-Westfalen.



"Ein Reckenland" Der Begriff „Westfalen” ist aller­dings viel älter. Einer der Ersten, der den Versuch unternahm, diese Region in ihrer Ausdehnung zu be­schreiben, war der Kölner Kartau- sermönch Werner Rolevinck, der von 1425 bis 1507 lebte. Er stamm­te selbst aus Westfalen, vom Schul­tenhof Rolevinck im Kirchspiel Laer bei Steinfurt.

"Westfalen, von dem ich nun berichten will, ist ein Reckenland, kein Rebenland" - mit diesem viel zitierten Satz beginnt der Hauptteil seines Buches "Zum Lobe Westfalens", das Rolevinck 1474 in lateinischer Sprache verfasste.

Westfalen, so schreibt Rolevinck weiter, umfasse die vier Bistümer Münster, Osnabrück, Paderborn und Minden, außerdem die beiden Herzogtümer Westfalen und Engern, sowie eine Reihe von Grafschaften und Herrschaften. 23 dieser kleinen Territorien zählt Rolevinck mit Namen auf: Tecklenburg, Steinfurt, Recklinghausen, Lüdinghausen und Arnsberg, aber auch Oldenburg und Diepholz - also Gebiete, die aus heutiger Sicht in Niedersachsen liegen. Das gilt auch für das Fürstbistum Osnabrück und für den nördlichen Teil des Fürstbistums Münster, das so genannte Niederstift um Meppen, Cloppenburg und Vechta.

Für Rolevinck war das alles „West­falen”. Sein Buch trug den Titel: „De laude antiquae Saxoniae nunc Westphaliae dictae” - "Zum Lobe des alten Sachsens, das neuerdings Westfalen genannt wird”. Dieser Titel überrascht, denn „Sachsen” ist für uns heute das östliche Bun­desland mit der Hauptstadt Dresden. Westfalen und den Freistaat Sach­sen wird man heute nicht unbedingt Nachbarländer nennen. Was ist da passiert? Sind die Sachsen einst nach Südosten gezogen und haben ihre Heimat den Westfalen überlassen?

Ein Name wandert ab Nein, gewandert ist nur der Name - oder besser: der Titel „Herzog von Sachsen”. Die Herzöge von Sachsen haben nie das ganze Gebiet zwischen Rhein und Elbe beherrscht, das man im Mittelalter „Sachsen” nannte, sie hatten aber eine Vorrangstellung gegenüber den zahlreichen Grafen und Edelherren. Der mächtigste der sächsischen Herzöge war Heinrich der Löwe, der in Braunschweig resi­dierte. Er geriet in einen schweren Konflikt mit seinem Vetter, Kaiser Friedrich Barbarossa, und wurde 1180 abgesetzt. Heinrich floh nach England, und Barbarossa teilte das Herzogtum Sachsen auf:

■ Den südwestlichen Teil erhielten die Erzbischöfe von Köln. Da­ raus entstand das „Herzogtum Westfalen”. Es umfasste weitgehend den Landstrich des heutigen Hochsauerlandkreises, des Kreises Olpe und Teile des Kreises Soest. Bis 1803 gehörte es zum Herrschaftsbereich des Kölner Erzbischofs.

■ Den mittleren Teil, nun „Herzogtum Braunschweig” genannt, überließ Barbarossa den Nachkommen Heinrichs des Löwen, den Welfen.

■ Der östliche Teil an der Elbe fiel an die Adelsfamilie der Askanier. Sie nannten sich fortan „Herzöge von Sachsen”. Durch Erbteilung entstanden die Herzogtümer Sachsen-Lauenburg im Norden und Sachsen-Wittenberg im Süden. Als 1424 der letzte Nachkomme der Linie Sachsen-Wittenberg starb, übergab König Sigismund das Erbe samt Titel den Markgrafen von Meißen, die sich nun „Herzöge von Sachsen” nennen durften. Damit war der Name im heutigen Sachsen angekommen.

Die verwickelte Geschichte macht auch verständlich, warum das Wort „Sachsen” heute im Namen dreier Bundesländer auftaucht: Niedersachsen (mit Braunschweig), Sachsen-Anhalt (mit Wittenberg) und Sachsen (mit Meißen). Nur in Westfalen ist der alte Sachsenname weitgehend in Vergessenheit geraten. Aber war­ um eigentlich? Und warum setzte sich hier der „XXL-Flurname” Westfalen durch?

Die Antwort führt wiederum tief in die Geschichte und reicht bis in die Zeit Karls des Großen. Er hat seit dem Jahr 772 Sachsen erobert. Drei Jahre später nahm er Geiseln der drei sächsischen Stämme in Empfang, nämlich der „Ostfalen”, der „Angrarii” oder „Engern” entlang der Weser und der „Westfalai” im westlichen Sachsen. Damit taucht erstmals der Name Westfalen auf.

Die Grenzen im Wandel Die Grenzen des frühmittelalterli­chen Westfalens sind nicht genau umschrieben, man muss aus ein­zelnen Erwähnungen Rückschlüsse ziehen. Vom Rhein kommend erreichte Karl der Große den zeit­genössischen Berichten zufolge Westfalen im Raum Bocholt, also im westlichen Münsterland. Nach Süden hin reichte Westfalen damals bis zur Lippe, aber wohl nicht weiter südlich. Paderborn in der Nähe der Lippequellen zählte zu Engern. Das Gebiet an der Hase um Osnabrück wurde wiederum zu Westfalen gerechnet, ebenso der Raum Wildeshausen im heutigen Oldenburger Land.

Der Name „Westfalen” bezeichnete im Laufe der Geschichte also sehr unterschiedliche Landstriche. Im Laufe des Mittelalters dehnte sich die geografische Bezeichnung auf das heutige Süd- und Ostwestfalen aus. Mit der Bildung der preußischen Provinz 1815 erhielt Westfalen dann die heute bekannten Grenzen.

Was bedeutet „Westfalen”? Die Bedeutung des vorderen Namensteils „West-” ist klar: Er bezeichnet die Himmelsrichtung der untergehenden Sonne. Der hintere Namensteil geht auf das germanische Wort „fal” zurück. Es bedeutet so viel wie „breit, flach, ausgebreitet”. Westfalen bezeichnet also eine Ebene nach Westen hin. Das passt landschaftlich gut zu dem, was die Geografen heute als „Westfälische Bucht” und „Ems-Weser-Geest” zum Norddeutschen Tiefland rechnen. Diese Landschaften entsprechen ungefähr dem, was schon im Frühmittelalter „Westfalen” genannt wurde.

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors Roland Linde und des Landwirtschaftlichen Wochenblattes Westfalen - Lippe.


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