Zum Artikel Saalhauser Bote Nr. 25, 2/2009
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Tere tulemast eestise - Willkommen in Estland
von Charlotte Krippendorf-Baumann
Tallinn, fotografiert von einer Aussichtsplattform
Als ich mich im Herbst 2007 dazu entschloss, ein Austauschjahr zu machen - egal wohin - wusste ich nicht, was auf mich zukommt:
Erst mal eine Menge Papierkram, dann ungeduldiges Warten und anschließend die vielleicht besten und lehrreichsten 11 Monate meines bisherigen Lebens, die ich in der wunderschönen Hauptstadt Estlands verbringen würde: Tallinn.
Meine Vorfreude damals hielt sich in Grenzen - was kann man in einem Land, dass noch bis 1994 von russischen Truppen besetzt war, erwarten?
Ich dachte an Unterentwicklung, Armut, Menschen, von denen mir gesagt wurde, sie seien verschroben dank geografischer Lage und bitterer Kälte. Hinzu kam die Angst vor der Fremde: Würde ich es fast ein Jahr ohne Familie und Freunde aushalten können?
Gott sei Dank belehrten mich schon meine ersten Eindrücke eines Besseren: Am modern ausgebauten Hafen wurde ich von strahlenden und herzlichen Menschen empfangen. Die Temperaturen lagen bei sommerlichen 20°C und die Rundfahrt durch die Stadt machte deutlich, dass Estlands Regierung hart gearbeitet hatte, um (mit Erfolg) die Spuren der Sowjetzeiten zu verwischen.
Die Infrastruktur ist sehr gut, immer mehr Shopping-Center werden eröffnet, Gebäude restauriert.
In der Stadt gibt es viele Theater oder Opernhäuser, da die Menschen sehr viel Wert auf Kultur und Bildung legen. Besonders beeindruckt war ich von der Altstadt: Die alten Gebäude sind sehr gut erhalten und lassen einen durch die verschiedenen Baustile der unterschiedlichen Besatzer einen Hauch der Geschichte spüren, die Tallinn zu erzählen vermag. Vor allem gefällt mir, dass die Altstadt ins alltägliche Leben eingegliedert ist. Sie ist nicht wie in vielen Städten bloß eine Touristenattraktion, sondern wird als normales Stadtzentrum genutzt.
Ich gehe in eine der drei besten Schulen Estlands: Tallinna Reaalkool, ein Gymnasium mit Schwerpunkt auf den Naturwissenschaften. Es ist eine sehr traditionsreiche Eliteschule, was mir die Möglichkeit gibt, das Schulsystem Estlands in freundlicher und ordentlicher Umgebung kennen zu lernen.
Ich habe in der Zeit viel erlebt, bin nach Russland, Lappland und quer durch Europa gereist, aber ein besonderes Ereignis ist mir in Erinnerung geblieben: der 24. Februar, Unabhängigkeitstag Estlands.
Mit 1,3 Millionen Einwohnern ist Estland sicher keine große Nation, aber ich glaube, man könnte nicht stolzer auf sein Land sein, als es ein Este ist.
Als ich also im doch sehr kalten Winter um 09.00 Uhr morgens bei Schneestürmen draußen stand und die Nationalhymne gesungen habe, war ich unheimlich berührt: Einige Menschen hatte Tränen in den Augen und wirklich jeder, ob groß oder klein, hatte eine Flagge in der Hand.
Ich war sehr glücklich, erleben zu dürfen, wie wichtig die Freiheit für die Esten ist und wie sehr sie sie schätzen. Die lange Geschichte Estlands lässt das leicht nachvollziehen, ist jedoch zu kompliziert um sie hier zu erläutern.
Ich habe hier viel gelernt, erlebt und habe tolle Freunde gefunden! Ganz sicher werde ich die Zeit nie vergessen.
Jetzt freue ich mich nach aufregendem und teilweise auch anstrengendem Stadtleben darauf, endlich wieder zurück ins ruhige und schöne Sauerland zu kommen.
Denn auch wenn Estland mein Herz gestohlen hat, habe ich immer die Berge und Wiesen vermisst.
Ich werde mein Leben lang gerne an "mein Austauschjahr in Estland" zurückdenken und bedanke mich bei allen, die für mich da waren und mir die Kraft gegeben haben, es durchzuziehen!
Dieses Foto von mir entstand vor dem Hintergrund des Tallinner Rathauses.
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