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Saalhauser Bote Nr. 31, 2/2012
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Der erste große Bombenangriff auf Altenhundem am 22.02.1945

-Von Frau Christel Demmeler, geb. Heinemann-

Die Front rückte bedenklich schnell von Westen her auf unser bisher ruhiges Sauerland vor. Die Bombenangriffe verstärkten sich, wie z.B. vor einigen Wochen auf Hagen und dann auf' Meschede. Offenbar waren Eisenbahnknotenpunkte ein bevorzugtes Ziel des Feindes. Altenhundem war ein solcher Eisenbahn- und Straßenknotenpunkt mit Brücken über die Lenne und die Hundem.

Diese Überlegungen machten sich Onkel Robert Schmelzer und sein Schwager, mein Vater, am frühen Morgen des 22. Februar. Onkel Robert besaß in unmittelbarer Nähe dieses Knotenpunktes zwischen Hundem- und Gartenstraße zwei ältere bäuerliche Fachwerkhäuser und ein modernes Steinhaus, vermietet an Kaufmann Knipp, welches im Gegensatz zu den Fachwerkhäusern sogar einen Keller besaß.

Die beiden beschlossen, nun endlich diesen Keller mit dicken Eichenstämmen abzustützen, um eine sichere Zuflucht zu schaffen. Also schritten sie zur Tat, um schließlich gegen Mittag fertig zu sein.

Wir Grundschüler hatten an diesem Tag erst ab 13:00 Uhr Unterricht (Schichtunterricht). Kurz vor 14:00 Uhr ertönte Fliegeralarm. Das Kollegium beschloss, uns Kinder nach Hause zu entlassen mit der eindringlichen Ermahnung, so schnell wie möglich zu laufen.

Also rannten der Nachbarsjunge P. (3.Schuljahr) und ich (2. Schuljahr) los, nicht ahnend, dass wir geradezu in das Verderben hineinliefen. Unsere Schreibtafeln klapperten laut in unseren Tornistern.

Unterwegs erkundigte sich P., welche Zuflucht ich aufsuchen wolle. Ich erklärte, meine Mutter erwarte mich im Splittergraben neben dem Haus. Er riet ab, denn dieser Graben habe nur einen Eingang, aber keinen Ausgang. Es drohe evtl. Erstickungsgefahr! Er selbst habe sein elterliches Bauernhaus untersucht. Die dicksten Mauern habe der ebenerdig gelegene Abort. Ein kleines Fenster sei auch vorhanden. Dort glaubte er sicher zu sein.

Ich misstraute ihm. Also trennten sich unsere Wege. Vor dem Splittergraben warf ich meinen Tornister ab, da der Graben schon fast voll war und sprang hinein. Derweilen fegte Onkel Robert in seiner blauen Arbeitsschürze seelenruhig nebenan den Hof. Er suchte nie einen Graben oder Keller auf. Seine Devise lautete: "Ich ducke mich nicht vor dem Feind!".

Bald näherte sich eine Gruppe - ca. 12 - zweimotoriger Bomber von der Töte her. Das laute Brummen ließ Onkel Robert aufschauen. Da sah er zu seinem Entsetzen, dass in diesem Moment die Flieger einen Bombenteppich auslösten. Mit einem Satz sprang er in unseren Splittergraben und schrie. „Es geht los". Sekunden später begann das Inferno: Mit großem Getöse schlugen die Bomben rings um unseren Graben ein. Die Erde verwarf sich stark hin und her. Panik entstand! Die Menschen schrien laut auf und schickten Stoßgebete gen Himmel, der Herrgott möge ihr Leben schonen. Blitzartig wurde mir jetzt klar, dass dies wohl die letzten Minuten meines Lebens sein würden.

Der Splittergraben hielt gottlob leidlich stand. Keine Bombe fiel direkt auf unseren Graben.

Nach wenigen Minuten hörte das Getöse auf. Nur das Brummen der Tiefflieger, die noch über dem Ort kreisten, war zu hören, - dann Totenstille! Auch im Graben herrschte tiefe Ruhe. Schließlich krochen wir nacheinander aus dem Graben an die Erdoberfläche. Welch' ein Anblick! Die Welt war nicht wiederzuerkennen! Der helle, sonnige Winternachmittag war in ein dämmeriges Zwielicht gehüllt. Staub und Rauch verdunkelten die Sonne und ließen uns husten und unsere Augen reiben.

Als erstes bemerkte ich, dass die lange Reihe der hohen, alten Pappeln im Schmelzerschen Hof total verschwunden war, vom ungeheuren Luftdruck wie atomisiert. Die Häuser rundherum hatten Volltreffer erhalten und brannten.

Onkel Roberts Bauernhaus hatte einen angebauten Stall. Dessen Decke lag schräg in etwa 2 m Höhe über den Kühen, die verzweifelt brüllten. Alle herumstehenden Dinge wie Kinder- und Puppenwagen, Fahrräder, Besen etc. waren durch die Luft geschleudert worden. Meinen Tornister fand ich später ca. 100 m entfernt an der Lenne wieder.

Aber wo war Vater? Mutter und ich schauten uns mit angsterfüllten Augen an. Schließlich stellte sich heraus, dass er in letzter Minute in den am Morgen abgestützten Keller des Kaufhauses gesprungen war, um ihn sozusagen „auszuprobieren" .Das Steinhaus hatte einen Volltreffer erhalten, war in sich zusammengestürzt und brannte lichterloh. Nur der abgestützte Keller hatte standgehalten! Allerdings waren die Lichtschächte verschüttet. Auch hier herrschte Panik! Es war dunkel und staubig.

Mein Vater als Soldat beider Weltkriege behielt einen kühlen Kopf, beruhigte die Frauen, machte einen Lichtschacht frei und stieg nach draußen. Augenblicklich erhielt er Beschuss von oben.

Offensichtlich wurde von den Tieffliegern auf alles geschossen, was sich noch bewegte. Vater sprang in eine große, umgestürzte, leere Tonne von FarbenSchulte und kehrte dann schleunigst in den Keller zurück. Die Männer bildeten eine Eimerkette von der Lenne aus, um wenigstens das Schmelzersche Steinhaus zu retten. Vergeblich! Die Flammen zerstörten den Rest. Onkel Robert stand wie gelähmt daneben, er stand unter Schock. Tränen rannen über sein Gesicht. Er musste hilflos zusehen, wie alle drei Häuser niederbrannten.

Auch das Nachbarhaus wurde getroffen. Ein Toter und eine Verwundete wurden herausgezogen. Als einziger hatte der Abort mit seinen dicken Mauern standgehalten. P. sprang aus dem kleinen Fenster ins Freie - gerettet! Man erwartete einen zweiten Angriff, da die Eisenbahnbrücke über die Lenne (Nebenlinie Altenhundem - Fredeburg) nicht getroffen worden war. Man riet den Frauen und uns Kindern, uns in Sicherheit zu bringen. Aber wohin nur? Schließlich balancierten wir an dem riesigen Krater entlang, der unmittelbar vor der Lennebrücke lag, - die Gleise bäumten sich haushoch in die Luft -, überquerten die Lennebrücke und flohen Richtung Klatenberg. Dort befanden sich alte Stollen, jetzt im Winter kalt, feucht und dunkel. Darin harrten wir ca. 2 Stunden frierend und vor Angst zitternd aus, aber heute folgte kein zweiter Angriff mehr. Schließlich kehrten wir zurück.

In dem Trümmerchaos des getroffenen Gebietes hatte man mittlerweile die Toten und Verwundeten aus den Trümmern gezogen. Trauer und Verzweiflung auf den Gesichtern der Überlebenden! Kinder, mit denen ich noch heute morgen gespielt hatte, waren nun tot!

Gegen Abend verließen Vater, Mutter und ich den brennenden Ort, um im ca. 8 km entfernten Marmecke Unterschlupf bei Verwandten zu suchen. Straßen und Häuser lagen in tiefem Dunkel, es herrschte ja noch Verdunkelungspflicht. Wir hatten alles verloren, aber unser Leben gerettet!



Als wir hinter der Rüberger Brücke waren, fiel mir auf einmal die Geschichte aus dem AT ein, die wir kürzlich im Bibelunterreicht gehört hatten, wie Lot das brennende Sodom und Gomorra verlässt und wie Lots Weib sich umdreht und zur Strafe zu einer Salzsäule erstarrt. Ich drehte mich aber trotzdem um. Im Dunkel der Nacht glühte ein feuerroter Himmel über dem Ort. Ich erstarrte zwar nicht zu einer Salzsäule, aber der Schock infolge dieses Infernos machte mir noch lange zu schaffen. Die Bilder dieses Tages sind mir bis heute in die Seele geschrieben.


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