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Saalhauser Bote Nr. 20, 1/2007
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Biu schoin is et dann, en Duarpkind te seyni (Fortsetzung) Kindheitserinnerungen und mehr...!

von Friedrich Bischoff

"Worin siehst du den Hauptunterschied zwischen der Stadt und dem Land?"

Es hatte mich wieder einmal nach Saalhausen gezogen. Und wie es der Zufall wollte, fand ich mich, gemeinsam mit meiner Frau, in einer kleinen, vergnügten Runde wieder, die Schulfreund Hermann anlässlich seines Hochzeitstages zu sich nach Hause eingeladen hatte.

Da diese komplexe Frage auf allgemeines Interesse stieß und nicht in einem Satz zu beantworten war, versuchte ich es auf eine eher sibyllinische Art: "Die Stadt ist einfach anders", was auch immer man sich darunter vorstellen mochte.

Auch wenn im Laufe der Zeit durch die allgemeine Entwicklung eine deutliche Angleichung erfolgt ist, so ist die allein durch die Größe einer Stadt bedingte Anonymität immer noch ein deutliches Kennzeichen der Stadt gegenüber der Gemeinschaft bildenden "Enge" eines Dorfes.

Mich versetzte diese Frage wieder in die Zeit meiner Kindheitserinnerungen, in der der Gesichtspunkt der Gemeinschaft von besonderer Bedeutung war. Befand ich mich in den letzten Kriegsjahren noch in einer "Gemeinschaft der Not", so wurde diese nach dem Krieg zu einer Gemeinschaft der Hoffnung, des Aufbaus und des Zukunftsglaubens. "Null-Bock" kannte man noch nicht. Auf dem Lande war das Zusammenrücken einfacher, da jeder einen jeden im Dorfe kannte, und gemeinsam geht bekanntlich manches leichter.

In der Stadt war das Zusammenrücken ungleich schwieriger. Hier übernahmen neben Vereinen und Verbänden, die allmählich wieder zu leben begannen, ganz besonders die Pfarrgemeinden die Aufgaben, die innerhalb einer Dorfgemeinschaft wie selbstverständlich geregelt wurden. Selbst die Größe einer Stadt muss relativiert werden, denn auch sie konnte und kann vielfach nicht über die Enge hinweg täuschen, die oftmals durch die Bebauung aufgrund der Wohnungsnot nach dem Kriege entstanden war. Bis heute noch leben und leiden oft Menschen unter den Strukturen, die damals aus der Not heraus geschaffen wurden und auch nicht mehr geändert werden konnten.

So werde ich nicht vergessen, wie eines Morgens im Rektorzimmer meiner damaligen Schule – es war Winter und es hatte endlich einmal geschneit – das Telefon klingelte und sich eine Schulnachbarin bitter über die "ungezogenen Blagen" beschwerte, die ihr sogar einen Schneeball gegen die Fensterscheibe geworfen hätten. Im gleichen Augenblick klopfte es an der Tür und der Hausmeister kam mit einem Jungen, den er am Arm festhielt und dem die Tränen in den Augen standen, zu mir ins Zimmer. "Hier haben wir den Übeltäter." Als ich sah, wie ängstlich der Kleine vor mir stand und sich dem Griff des Hausmeisters zu entziehen suchte, überkam mich augenblicklich die Erinnerung an die Zeit der "dörflichen Weite", die ich in seinem Alter in Saalhausen erlebt hatte und die uns Kinder jede Form der Winterfreuden erleben ließ.

Hier in der Stadt umgaben den Schulhof viergeschossige Wohnblocks, die die Kinder nahezu einpferchten. Bei dieser Enge war die Aussicht, mit einem verirrten Schneeball eine Fensterscheibe zu treffen, größer als umgekehrt. Die Kinder hier kannten es nicht anders und wir Kinder damals konnten noch nicht erkennen, unter welch geradezu paradiesischen Umständen wir in dieser Hinsicht im Dorf leben und aufwachsen durften.

Biu schoin was et da, en Duarpkind te seyn!

Aber nicht nur die Winterfreuden waren es, die uns das Dorf schenkte, es war die Dorfgemeinschaft selber, in die wir eingebettet waren und die uns in sich trug. Wenn etwas geschah, so geschah es im Dorf und die gesamte Dorfgemeinschaft hatte Anteil daran. Im Prinzip ist es bis heute so geblieben, und hier ist ein deutlicher Unterschied zur Stadt zu erkennen. Gravierender als der Unterschied zwischen Stadt und Land erscheint mir jedoch der Unterschied zwischen den Zeiten, zwischen dem Damals und dem Heute.



Dieses Bild entstand als Nachbereitung unserer Firmung und wurde uns von Lehrer Stöwer als Hausaufgabe aufgegeben.

Wir erlebten z.B. noch den Tag der ersten heiligen Kommunion als ein Ereignis, an dem die gesamte Dorfgemeinschaft teilnahm. Das Dorf schien untereinander vernetzt und die Kinder – nicht die Kommunionkinder – liefen nach der Kommunionfeier in der Kirche, mit einem Stapel Glückwünschbriefe oder mit kleinen Geschenken in der Hand, in alle Richtungen, um die Glückwünsche der einzelnen Familien zu überbringen. Die Kuchenstücke, die sie als Dankeschön bekamen, reichten zu Hause oft für eine ganze Kaffeetafel am Nachmittag, so dass auch Familien ohne Kommunionkind auf diese Weise an der Feier teilnahmen. Dem Dorf ist zu wünschen, dass sich dieser Brauch bis heute erhalten hat.

Das gesamte dörfliche Leben bewegte sich einerseits, bedingt durch die Landwirtschaft, im Rhythmus der Jahreszeiten und andererseits im Kreislauf des Kirchenjahres mit seinen Sonn- und Feiertagen. Selbstverständlich hatten es uns immer die Festtage besonders angetan. Eltern, Lehrer und Pastor bemühten sich erfolgreich, uns den Sinn dieser Tage zu erschließen. Somit besaßen für uns Kinder gerade die großen Feiertage immer eine besondere religiöse Bedeutung, die auch durch die Gestaltung dieser Tage deutlich zum Ausdruck kam.

Einer dieser besonderen Festtage war für mich immer das Fest Fronleichnam. Ob bei mir der tiefere Sinn des Festes – die Einsetzung des Altarssakramentes – oder die feierliche Fronleichnamsprozession im Mittelpunkt des Erlebens stand, kann ich nicht mehr nachvollziehen. Sicher ist, dass wir uns schon tagelang allein auf die Vorbereitungen freuten. Wenn es dann soweit war, wurde alles gesammelt, was die Natur an Frühlingsschmuck hergab und als geeignet erschien. So zogen wir mit Körben und Wannen in die Wälder und sammelten bergeweise "Tannenknöppelkes". Das sind die zarten und frischen Frühlingstriebe der Fichten. Wir konnten gar nicht genug sammeln, denn sie bildeten die Grundlage für den viele, viele Meter langen Fronleichnamsteppich.



Bei diesem Bild handelt es sich um einen vorbereitenden Entwurf für Fronleichnam. Das als Transparent gedachte Motiv sollte als Ehrenpforte zum Einzug der Prozession den Eingang zum Kirchplatz schmücken.

Dieser, mit farbenprächtigen liturgischen Symbolen verziert, die aus bunten Blumen und gefärbtem Sägemehl kunstvoll gefertigt waren, wurde morgens auf dem Prozessionsweg ausgelegt und man achtete sehr darauf, dass er bis zum Eintreffen der Prozession unbeschadet blieb. Nur der Pastor mit dem Allerheiligsten durfte über diesen Teppich schreiten.

Es gab jedoch eine Ausnahme, nämlich den Kreuzträger mit den beiden Begleitern rechts und links am Anfang der Prozession. Ich kann mich noch genau erinnern, wie stolz ich war, als ich einmal das Kreuz tragen und diesen Teppich als erster begehen durfte. Ich traute mich kaum, den einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Wie wichtig die beiden Begleiter rechts und links waren, erkannte ich spätestens dann, als das Kreuz immer schwerer wurde, die Arme erlahmten und ich das Kreuz schließlich weitergeben konnte, denn die Prozession führte über die Jenseite, weiter durch die anschließenden Wiesen und Felder, entlang der Lenne bis zur Brücke in Gleierbrück, über diese hinweg und dann der Straße nach zurück zur Kirche.

Die Länge des Weges mag Ursprung für eine kleine allzu menschliche Anekdote sein, über die man damals herzlich schmunzelte: Mutter, das kleine Töchterchen an der Hand, nahm voller Inbrunst am Gesang der Prozession teil. Als die Blaskapelle das Marienlied "Meerstern, ich dich grüße, o Maria hilf!" intonierte, zupfte die kleine ihre Mama an der Hand: "Mama, ich muss mal", worauf sich die Mutter mit unverminderter Inbrunst singend dem Kinde zuwandte: "Go doch innen Grawen, o Maria hilf!"

Wurde das tägliche Leben in mannigfacher Weise durch Sitten und Brauchtum vom Kirchenjahr geprägt, so fand dieses alles selbstverständlich auch Einlass in unsere Katholische Volksschule. Hier wurden die großen Ereignisse im Dorf schulisch begleitet und oft im Unterricht vor- und nachbereitet.

So zählte der Tag unserer Firmung selbstverständlich zu den ganz besonderen Ereignissen. Der Bischof von Paderborn wollte zu uns kommen und uns das Sakrament der Firmung spenden und durch Handauflegen und Salbung der Stirn mit Chrisam und Anrufung des Heiligen Geistes Kraft und Stärke für ein mündiges, religiöses Leben erwirken. Inwieweit wir bereits in der Lage waren, dieses Sakrament in seiner ganzen Bedeutung zu erfassen, sei dahingestellt. Sicher lag es nicht an der Vorbereitung, wenn für mich das Sakrament zum großen Teil ein Geheimnis blieb, so wie ein jedes Sakrament sein Geheimnis in sich birgt, das letztlich auch ein Erwachsener nur mit gläubigem Herzen erfassen kann.

Zwei Ereignisse ganz anderer Art erlebten wir bzw. ich in dieser Zeit, Das erste wirkte sich nachhaltig auf unseren Schulalltag aus: Eines Tages erschien in unserer Klasse ein langer, dünner Mann mit einer großen Brille. Er stellte sich als Heinz Krüsemann vor und erklärte uns, er sei ab jetzt unser neuer Lehrer.

Das zweite Ereignis betraf meine Familie und somit auch mich. Die Wohnung "auf Heers Scheune", die ursprünglich als Übergangslösung gedacht war, wurde nach dem Krieg wieder gebraucht. Dem damaligen Bürgermeister Brüggemann war es gelungen, für uns eine größere Wohnung "beim Müllers Kurt" zu besorgen. Da uns jetzt drinnen wie draußen sehr viel mehr Raum zur Verfügung stand, begann besonders für mich eine spannende Zeit.


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