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Saalhauser Bote Nr. 31, 2/2012
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Lehrjahre sind keine Herrenjahre…! Kindheitserinnerungen und mehr...! -

Von Friedrich Bischoff

Auch im Bereich der Berufsausbildung befand sich in den fünfziger Jahren alles im Umbruch. Die erste Neuordnung des Handwerks nach dem Krieg wurde 1953 formuliert und die Ausbildungsgänge in den einzelnen Berufssparten klar strukturiert. Kaffee-, Wasser- oder Bierholen für die Gesellen gehörte nicht mehr zu den vornehmsten Aufgaben eines Lehrlings im ersten Lehrjahr. Er konnte sich weigern und hatte das Recht dazu. Auch wenn es in der Praxis noch Jahre dauerte, bis sich die neuen Regeln durchsetzten, so war ein Anfang gemacht und die Industrie- und Handelskammern waren dafür verantwortlich, dass die Ausbildungsordnungen in den verschiedenartigen Betrieben und Berufen beachtet und eingehalten wurden. Jetzt hieß es Ausbildung statt Ausbeutung. Erst während meines späteren Studiums, in dem die Neuordnung des Berufsbildungswesens als Thema behandelt wurde, erkannte ich, dass auch das Ergebnis meiner Facharbeiterprüfung damals, das mich nach wie vor beschäftigte, in direktem Zusammenhang mit der neuen Ausbildungsordnung gesehen werden musste. Was war geschehen? Ich konnte zwischen schwach bestanden und Verlängerung wählen. Indem ich dem Rat des Prüfungsausschusses für ein weiteres halbes Jahr Ausbildung folgte, hatte ich nicht nur mir geholfen, wie sich später zeigen sollte, sondern auch dem von der Industrie- und Handelskammer berufenen Prüfungsausschuss und damit der Kammer selbst. Der Prüfungsausschuss hatte mit Recht auf die Diskrepanz zwischen meinen theoretischen und praktischen Ergebnissen hingewiesen. Mit zweimal „ausreichend” wäre für den Ausschuss ein schlüssiges Ergebnis erzielt worden. Über mehr Potential verfügte der Kandidat nun mal nicht. Aber eine glänzende Eins, wie man mir mitgeteilt hatte und eine schwache Vier, standen in einem krassen Missverhältnis zueinander und so etwas konnte und durfte es nicht geben. Ein solches Ergebnis machte allzu deutlich, dass hier nicht der Kandidat, sondern die Ausbildung versagt hatte. Und dafür trug die Kammer die volle Verantwortung. Denn sie hatte die Lehrbetriebe auf ihre Ausbildungsfähigkeit hin zu überwachen und zu kontrollieren. Erfüllte ein Betrieb nicht die Voraussetzungen, so durfte die Kammer diesem Betrieb auch keine Ausbildungserlaubnis erteilen.

Hätte ich mich für die erste Lösung entschieden, so wäre ich selbstverantwortlich geworden und hätte somit dem Prüfungsausschuss die Verantwortung abgenommen. Im zweiten Fall blieb der Ausschuss in der Verantwortung. Er durfte und wollte es auch nicht zulassen, dass hier ein theoretischer Einser-Kandidat ein praktisches Ausbildungsopfer wurde und in einem halben Jahr wieder das Gleiche erleben würde. Damit war er gezwungen, den wirklichen Ursachen für das Defizit auf den Grund zu gehen. Mir bot er gleichzeitig bessere Ausbildungsbedingungen in der Lehrwerkstatt in Attendorn an. Einerseits ein äußerst umsichtiges und faires Angebot in Bezug auf mich und mein Weiterkommen, andererseits hatte meine Entscheidung für ein weiteres halbes Jahr unvorhergesehene Folgen ganz anderer Art, wie sich noch zeigen sollte.

Zunächst einmal nahm das Leben in Saalhausen seinen gewohnten Lauf. Die interessierte Frage der Freunde nach dem Prüfungsergebnis und meine Erklärungsversuche führten dazu, dass sie neugierig wurden. Die Frage nach dem Facharbeiterbrief, auf den ich ja vorerst verzichtet hatte, klärte für sie kurz und knapp die Situation: durchgefallen. Jeder weitere Versuch einer richtigstellenden Erklärung wurde als Rechtfertigungsversuch abgetan: Wo gibt’s es das schon, dass sich ein Prüfling sein Prüfungsergebnis selbst aussuchen kann. Es war also genau das eingetreten, was ich am Tag der Prüfung auf der Heimfahrt nach Saalhausen befürchtet hatte. Verschlimmert wurde das Ganze noch dadurch, dass ich am Ende selbst glaubte, durchgefallen zu sein, was ja vordergründig so auch als korrekt erschien.

So wurde bei mir das Gefühl immer stärker, eine verletzende Niederlage erfahren zu haben. Es entstanden Selbstzweifel, die mich immer wieder fragen ließen: Lag das alles nicht doch an dir selbst, warst du nicht einfach unfähig, die geforderten Leistungen zu erbringen? Zu einer objektiven Beurteilung des gesamten Prüfungskomplexes war ich immer weniger in der Lage. Das ging so weit, dass ich mich selbst für die Aufgaben in der Pfarrjugend, die ich von Lehrer Krüsemann übernommen hatte, als ungeeignet fühlte. Ähnlich erging es mir mit der neu übertragenen Aufgabe als Übungsleiter in Leichtathletik beim TSV Saalhausen. Dieser Aufgabe bin ich kaum mehr nachgekommen. Heute würde man wohl von einem stark angeschlagenen Selbstbewusstsein sprechen.

Doch auch hier ging das Leben weiter und was getan werden musste, musste getan werden, unabhängig davon, in welch seelischer Verfassung man sich befand. Ich empfand es als wohltuend und zugleich hilfreich, dass ich auf mein „stilles Leiden” weder angesprochen wurde noch mich abfälligen oder abwertenden Bemerkungen ausgesetzt sah. Während ich in Saalhausen auf dem besten Wege war, mich mit den Realitäten abzufinden, nahm das Schicksal auf dem Kickenbacher Hammer in Gestalt zweier Herren von der Industrie- und Handelskammer seinen Lauf.

Diese statteten der Firma im Rahmen ihrer Kontroll- und Aufsichtspflicht, ohne mein Wissen, einen Besuch ab. So wurde ich nichtsahnend in das Büro der Firma gerufen. Die Herren erklärten mir, sie möchten sich gern einmal in Verbindung mit meiner Prüfung meinen Lehrbetrieb ansehen. Das löste bei meinem Chef eine solche Flut von Beschimpfungen und persönlichen Beleidigungen aus, dass ich ihn direkt fragte, warum er mir das alles nicht schon in der Vergangenheit gesagt hätte. Ich sei immer der Meinung gewesen, er wäre mit mir sehr zufrieden. Die Frage brachte das Fass zum Überlaufen und er wurde sehr laut. Den Herren erklärte er, ich hätte damit ja wohl den endgültigen Beweis für meine Undankbarkeit und Unverschämtheit erbracht. Sie erklärten mir später draußen, ich solle mir das nicht zu Herzen nehmen, sie hätten genug gesehen und es bliebe bei der Vereinbarung. Außerdem könnten sie mir einen weiteren Verbleib bei der Firma nicht zumuten.

Bei mir löste dieser Vorfall ganz andere Überlegungen aus. Ich fragte mich grundsätzlich, ob dieser Berufszweig und das gesamte Arbeitsumfeld mein künftiges Leben ausmachen sollte. Es war jetzt das zweite Mal innerhalb meiner Lehrzeit, dass es zu einem Eklat kam. Bei der Firma Michel war es der fachlich hochqualifizierte, jedoch offenbar durch seine Alkoholabhängigkeit gescheiterte Chef mit Konkurs der gesamten Firma. Hier war es eine Fabrik mit klapprigen, für jede Präzisionsarbeit ungeeigneten Maschinen und einer vollkommen intakten Transmissionsanlage. Beides war derart veraltet, dass es jedem technischen Museum zur Ehre gereicht hätte

Das war nicht die Welt, in der ich in Saalhausen aufgewachsen war und die mich für mein späteres Leben nachhaltig prägen sollte. Hier lernten wir, den anderen zu respektieren und Verantwortung zu übernehmen. Mir war klar, dass solche Vorfälle, wie ich sie erlebt hatte, sich immer wieder und an den verschiedensten Orten wiederholen würden. Ich stellte mir erstmals die Frage nach der Mitverantwortung gegenüber jungen Menschen, die unvorbereitet solchen Lernbedingungen und Behandlungen ausgesetzt wurden. Wie so etwas auszusehen hätte, war mir noch vollkommen unklar.

Dass mich in meinen Fällen keinerlei Schuld traf, gab mir die notwendige innere Sicherheit, um so etwas unbeschadet zu überstehen. Mehr noch, als mein Chef sich so gehen ließ, konnte ich in seinen Augen hinter der Wut auch die Angst um seine Autorität und die Sorge um die Folgen dieses Besuches erkennen.

Nur wer sich schuldig fühlt, hat sich zu fürchten, so dachte ich mir. Mich beeindruckte er nicht mehr, im Gegenteil, er tat mir leid. Für mich bedeutete dieser Vorfall die endgültige Überwindung meines „Ausbildungstiefs”. Ob der Firma die Befähigung zur weiteren Ausbildung von Lehrlingen aberkannt wurde, ist mir nicht bekannt. Später übersetzten wir im Lateinunterricht den Sinnspruch „Per aspera ad astra”: „Durch Mühsal zu den Sternen”. Die Sinndeutung dieses Spruches verstand wohl kaum jemand besser als ich.

Ein weiterer Verbleib bei der Firma blieb mir aus völlig anderen Gründen erspart. Erspart blieb mir ebenfalls der von der Industrie- und Handelskammer so gut gemeinte und durch die tägliche Hin- und Rückfahrt für mich mit Schrecken besetzte Abschluss der Ausbildung in der Lehrwerkstatt in Attendorn.

Die Lösung ergab sich durch die Bemühungen meiner Familie um eine Rückkehr nach Bochum. Meine jüngste Schwester hatte bereits eine Stellung im Haushalt des Pfarrers der Gemeinde St. Franziskus in Bochum-Weitmar gefunden, einer von damals über dreißig Gemeinden in Bochum. Obwohl es auch zehn Jahre nach Kriegsende immer noch nahezu ausgeschlossen war, von außerhalb kommend in der Stadt eine Wohnung zu finden, gelang es Pfarrer Ostendorf dennoch, uns sogar eine passende Neubauwohnung zu beschaffen.

Damit hatte für mich zwar das „Lehrlingsleid” hier ein Ende, ob es jedoch in Bochum besser werden würde, musste die Zukunft zeigen.

So fiel mir der Abschied von den Ausbildungsbedingungen gewiss nicht schwer. Ganz anders aber empfand ich den Abschied vom Dorf und von den Freunden und Bekannten. Hier hatte ich, durch den Krieg verursacht, meine Wurzeln geschlagen. Saalhausen war für mich Heimat geworden. Nun ging ein Lebensabschnitt zu Ende, der sich erst in der Zukunft als ein Gewinn oder als das Gegenteil erweisen sollte.



Oben: Der Bochumer Verein um 1950 – Teilansicht Unten: Tor 1 an der Alleestraße – Tor 5 lag ca. 1,5 km entfernt

Zusätzlich erschwert wurde mir die Trennung noch dadurch, dass an einem der letzten Tage vor dem Aufbruch plötzlich Lehrer Plitt mitten in unserer Wohnung stand, um mir einen Vorschlag zu unterbreiten: Ich sollte doch in Saalhausen bleiben, um so auch weiterhin meine Arbeit in der Pfarrjugend und wo auch immer im Dorf weiterführen zu können. Für eine Wohnung und alles Notwendige würde das Dorf sorgen. Ich nahm seinen Vorschlag sehr ernst. Wurde hier doch ein sehr großes Vertrauen deutlich. Dennoch konnte ich mir einerseits nicht vorstellen, wie das gehen sollte, andererseits wollte ich mich auch nicht von der Familie trennen. So blieb es bei dem einmal gefassten Entschluss. Und die Liedzeile, die einmal in romantischer Verklärung des Abschieds geschrieben wurde und die wir gemeinsam mit Lehrer Krüsemann immer wieder gesungen hatten: „Ihr Häuser alle wohlbekannt, noch einmal wink ich mit der Hand”, diese Zeile wurde jetzt Realität.   Auch die bekannten Berge und besonders der Weg von Saalhausen nach Altenhundem, den ich unzählige Male mit dem Zug, dem Bus, dem Fahrrad oder zu Fuß zurückgelegt hatte, traten mir jetzt in einer solchen Deutlichkeit entgegen, als wollten sie sich für immer in mein Gedächtnis eingraben. Jetzt wurde mir besonders schmerzlich bewusst, dass ich all das so schnell nicht wiedersehen würde, denn die Strecke nach Bochum, für die man heute mit dem Auto eine gute Stunde Fahrzeit benötigt, empfanden wir damals noch als eine halbe Weltreise, die in unserer Vorstellung auch zwei verschiedene Welten miteinander verband.

Die eine, neue Welt wurde jetzt mein neues Zuhause. Hier war nahezu alles anders. Die Ruhe des Dorfes, in der man im Gespräch auf der Straße die Gedanken des Anderen nahezu hören konnte, wurde hier durch einen permanenten Lärmpegel ersetzt, der durch den Straßenverkehr erzeugten wurde. So jedenfalls empfand und erlebte ich die ersten Tage. Es würde sicher dauern, bis ich mich an diese und manch andere Eindrücke gewöhnen sollte.

Wesentlich wichtiger war mir die Suche nach einer Arbeitsstelle, die mir auch die Möglichkeit bot, meine Ausbildung abzuschließen. Zu meiner Überraschung musste ich nicht lange suchen. Im Gegenteil, man nahm mich sehr gerne. Bot sich hier doch die Gelegenheit einen ausgebildeten Mitarbeiter zum Lehrlingstarif einzustellen, dem nur noch eine Kleinigkeit an seiner Prüfung fehlte. Meine neue Firma waren die Fahrzeugwerke Friedrich Oscar Lueg, die mit allen Mercedes Fahrzeugen handelten, die damals auf dem Markt waren. Angeschlossen waren eine große Reparaturwerkstatt und eine Fabrik zur Herstellung von Ersatzteilen aller Art. Hier fand ich meinen Arbeitsplatz. Als ich die Fabrik zum ersten Mal betrat, glaubte ich im Vergleich zu Cordes in Kickenbach in ein neues Jahrhundert einzutreten. Hier wurde zum Teil mit einer solchen Genauigkeit gearbeitet, dass die Temperatur von Raum und Werkstück beim Messen mit berücksichtigt werden mussten. Dass die hierfür notwendigen Präzisionsmaschinen vorhanden waren, verstand sich von selbst.

Das Betriebsklima wurde durch ein freundliches Miteinander geprägt. Man konnte so etwas wie ein Gemeinschaftsgefühl verspüren, vielleicht eine Ausstrahlung von den Zechen ringsum. Diese arbeiteten damals auf Hochtouren, um das Nachkriegsdeutschland mit Wärme und Energie zu versorgen und der Kameradschaftsgeist der Kumpel unter Tage war nahezu sprichwörtlich.

Mir räumte man bei Lueg alle Möglichkeiten ein, die mit Blick auf die praktische Prüfung erforderlich waren.

Das halbe Jahr bis zur Prüfung verging wie im Fluge. Meine Prüfungsunterlagen waren von der Industrie- und Handelskammer Siegen an die Industrie- und Handelskammer Bochum überwiesen worden. Die IHK Bochum hatte auch zuvor ihre Zustimmung zu meinem neuen Arbeitsplatz gegeben. So bekam ich nach einem halben Jahr von der IHK Bochum über die Geschäftsleitung der Firma Lueg den neuen Prüfungstermin und den Prüfungsort mitgeteilt. Der Prüfungsort war die Lehrwerkstatt des Bochumer Vereins, Eingang: Tor 5. Dieses Mal machte ich mich mit einem wesentlich besseren Gefühl auf den Weg als in Attendorn. Der Bochumer Verein war so riesig, das ich mit dem Fahrrad beinahe kilometerweit am Werksgelände entlang fahren musste, um das Tor zu erreichen. Als ich endlich die Lehrwerkstatt gefunden hatte, traute ich nach Lueg ein zweites Mal kaum meinen Augen.

Facharbeiterbrief anno 1955
Facharbeiterbrief anno 1955

Ich betrat eine Halle, die mehr als doppelt so groß war wie das ganze Firmengelände von Cordes. Sie war voll ausgestattet mit modernsten Drehbänken, Hobel-, Flach- und Rundschleifmaschinen, Elektrosägen usw. Hier wurden Dreher, Schlosser, Werkzeugmacher und andere Lehrlinge, die in diesem gewaltigen Werk benötigt wurden, ausgebildet. Alle Maschinen waren mehrfach vorhanden, damit stets mehrere Lehrlinge gleichzeitig an ihnen arbeiten konnten. Allein die Drehbänke standen in Viererreihen hintereinander. Hier gab es eigene Lehrlingsmeister, die sich ausschließlich um die Ausbildung ihrer Schutzbefohlenen kümmerten. Diese wurden Schritt für Schritt von den ersten, einfachsten Aufgaben im ersten Lehrjahr bis zu den anspruchsvollsten Aufgaben im dritten Lehrjahr an den Beruf herangeführt. Hier konnte man lernen.

Schlagartig standen mir meine Lehr- und Lernbedingungen in Altenhundem und Kickenbach vor Augen: in Altenhundem die insgesamt 78 Wochenstunden mit ihren ausbildungsfremden Arbeiten, die wochenlangen Ausschachtungsarbeiten für das Fundament des neuen Fabrikgebäudes, meine Beschwerde bei der Gewerkschaft in Olpe, das Schimpfen und Schlagen durch den dortigen Chef; in Kickenbach eine Fabrik, die nie und nimmer über die Voraussetzungen für eine qualifizierte Ausbildung verfügte, ein mich in Gegenwart der Vertreter der Industrie- und Handelskammer beschimpfender und beleidigender Chef.

Der einzige Lichtblick war der kluge Vorschlag des Prüfungsausschusses in Attendorn. Dieser Vorschlag war es, der mich jetzt in die Lehrwerkstatt des Bochumer Vereins geführt hatte. Angesicht dieser Lernbedingungen, die ich hier antraf, kam in mir ein bitteres Gefühl der Enttäuschung hoch über das, was ich bisher erleben musste. Hier bestätigte sich das, was mir bereits in Saalhausen klar geworden war: Wir alle, die wir unter solchen oder ähnlichen Bedingungen lernen und arbeiten mussten, waren ganz einfach ausgenutzt und betrogen worden.

Doch jetzt war erst einmal die Prüfung das Wichtigste. Dass ich diese bei dem hohen Ausbildungsniveau, das hier herrschte, dennoch mit „gut” bestand, erfüllte mich eher mit Genugtuung als mit Freude. Dieses „gut” war dem „sehr gut” der theoretischen Prüfung sicher gleichzusetzen.

Eine indirekte Bestätigung bekam ich, als mir der Facharbeiterbrief von der Geschäftsleitung der Firma Lueg überreicht wurde. Dabei ließ mir die Industrie- und Handelskammer mitteilen, dass ich das beste Prüfungsergebnis erzielt hätte. Das Zweitbeste sei ein zweifaches „gut”. Es sei Brauch in Bochum, dass der beste Absolvent öffentlich ausgezeichnet würde und ein kleines Präsent überreicht bekäme. Zusätzlich würde über die Auszeichnung in der Bochumer Presse berichtet.

Da ich jedoch nur einen Teil der Prüfung vor der Kammer zu Bochum abgelegt und meine Lehre zum überwiegenden Teil im Sauerland absolviert hätte, könne man mir diese Auszeichnung in Bochum nicht zukommen lassen. Da man den Zweitbesten jedoch nicht als Besten auszeichnen könne, würde dieses Mal auf eine Auszeichnung ganz verzichtet. Am Ende bat man um mein Verständnis.

Hätte ich mich jetzt freuen und für rehabilitiert halten sollen? Diese Reaktion hielt sich bei mir angesichts der erneuten Zurücksetzung in Grenzen. Rehabilitiert hatte ich mich selbst aus eigener Kraft. Sicher tat es meinem angeschlagenen Selbstwertgefühl gut, doch auch hier war bis zum letzten Augenblick Unrecht geschehen und das als Folge voraufgegangenen Unrechts.

Doch solche nahezu existenzielle Erfahrungen mussten wohl sein, denn sie sollten mich in eine völlig andere Richtung lenken. Wie sagte doch Lehrer Stöwer immer dann, wenn etwas Unvorhersehbares geschehen war: „Gott schreibt auch auf krummen Linien gerade”.

Wird fortgesetzt!


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