Saalhausen, Lennestadt Sauerland





Saalhauser Bote / Heimatstube Saalhausen
redaktion@saalhauser-bote.de
Haupt Menu: [Startseite] [Saalhauser Bote] [In Saalhausen zu finden] [Bildergalerien/Routen] [Links] [Kontakt/Impressum]
 19.04.2024
Neue Ausgaben
Archiv
Kalender
Zum Artikel
Saalhauser Bote Nr. 33, 2/2013
Zurück Inhalt Vor

Erlebnisse der Flucht aus Berlin, in den Jahren 1956 und 1958

von R. Lehrig

Anfang Juli 2013 habe ich mich mit der Familie Helmut Schmelter über ihre Erlebnisse bei der Flucht aus Berlin in der 50er Jahren unterhalten. Die Zeitgeschichte spiegelt sich auch in unserem Ort wider.

Die Familie Schmelter stammte ursprünglich aus Schwartmecke bei Oberhundem. Der Vater von Helmut und Gerhard Schmelter war jedoch nach Berlin übersiedelt und hatte dort einen selbstständigen Betrieb für Holz- und Baustoffhandel gegründet.

Als Zwillinge wurden Helmut und Gerhard 1937 in Berlin/Charlottenburg geboren, man nannte sie später in Saalhausen die „Ickes” weil sie Berliner Dialekt sprachen.

Beide hatten schon in Berlin eine Lehre absolviert. Helmut hatte Maurer und Gerhard Schreiner gelernt. Mitte der 50er Jahre waren es also junge Erwachsene, die ihren Weg in die Zukunft finden mussten. Sie lebten im sowjetischen Sektor von Berlin.

Die Zwillinge waren schon mit 14 Jahren in die Lehre gekommen. Mittlere Reife oder Abitur durften sie nicht machen, da der Vater selbständig war. Auf der Arbeit lernte Helmut seine „Sandkastenliebe” Gisela kennen, mit der er heute verheiratet ist.

Auf Grund der familiären Verbindungen in das Sauerland waren die Brüder fast jedes Jahr mit der Eisenbahn oder auch schon mit dem Auto zu Besuch in Schwartmecke gewesen. Es war absehbar, dass man sich entscheiden musste, ob man im sowjetischen oder einer der westlichen Besatzungszonen leben wollte, denn der kalte Krieg machte es immer schwieriger, von Ost nach West oder umgekehrt zu kommen. In Berlin war es aber vor dem Mauerbau immer noch möglich, mit der S-Bahn oder U-Bahn die Sektorengrenzen zu passieren.

Die Familie Schmelter machte sich also am 31.12.1955 auf den Weg nach Westberlin. Dabei fuhr jeder einzeln und man traf sich erst im Westen um 20 Uhr am Bahnhof Zoo wieder.

Die gesamte Wohnungseinrichtung und die komplette Firma musste zurückgelassen werden. Man war also ohne Hab und Gut.

In Westberlin musste man sich innerhalb von 3 Tagen im Flüchtlingslager Marienfelde melden. Während der Flucht hatte der Vater von Helmut und Gerhard einen Herzinfarkt erlitten und lag nun in Westberlin im Krankenhaus.

Die Familie trennte sich und die Brüder kamen mit dem Flugzeug über das Lager St. Bostel in Schleswig-Holstein zunächst zu den Großeltern nach Schwartmecke ins Sauerland. Die Eltern kamen nach, aber der Vater verstarb dann schon im August 1957 im Alter von nur 49 Jahren.

Schließlich fand die Familie eine 3-Zimmer Wohnung bei der Familie Karl Buchener, Amselstraße, Saalhausen. Um die Wohnung zu bekommen, war jedoch ein so genannter „C-Ausweis” notwendig, der für Flüchtlinge aus der SBZ (sowjetische Besatzungszone) ausgestellt wurde. Neben dem C-Ausweis gab es auch noch A- und B-Ausweise.

Ende 1957/Anfang 1958 zogen Mutter und die Brüder in die Auerhahnstraße in eine Wohnung im Haus von Horst Albers, zur Miete.

Helmut fing als Maurer bei der Firma Johannes Beckmann in Saalhausen und Gerhard als Schreiner bei der Firma Hamecke an.

Helmut und Gisela, die ja noch in Ostberlin war, schrieben sich nun ständig Liebesbriefe. Einen Brief schrieb Helmut auch an die Eltern von Gisela und hielt darin um ihre Hand an. Der Bitte wurde entsprochen und die damals 23-jährige Gisela konnte im Mai 1958 nach Saalhausen nachkommen. Sie brachte zuvor ihre Sachen nach und nach zu einer Tante in Westberlin und wurde dann über den Flughafen Tempelhof aus Berlin ausgeflogen. Vorher hatte sie sich von den Eltern und den Brüdern verabschiedet, ohne zu wissen, ob ein Wiedersehen jemals möglich sein würde.

Gisela flog nach Hannover und fuhr weiter mit der Bahn nach Hagen. Dort holte Helmut sie ab.

Im Standesamt Saalhausen fand die Trauung im Oktober 1958 statt. Helmut und Gisela wohnten in einem Zimmer und Gerhard und die Mutter im anderen Zimmer der Wohnung.

Gisela hatte bereits in Berlin Herrenschneiderin gelernt und konnte bei der Firma Falke in Schmallenberg Arbeit finden.

Sie galten als Republikflüchtlinge, wagten es aber trotzdem zum Jahreswechsel 1959/1960, noch einmal nach Berlin zu fahren, da der Vater von Gisela sterbenskrank war. Sie trauten sich dort nur nachts auf die Straße, weil sie fürchteten, angezeigt zu werden.

1960 bekamen die Beiden dann endlich eine eigene Wohnung bei Gregor Padt in der Rinsenbergstraße. 1965 wurde dann Tochter Andrea geboren.

1966 zog die kleine Familie noch einmal um, denn Gerhard hatte sein Haus mit tatkräftiger Unterstützung von Helmut in der Schwalbenstraße fertig gestellt.

Die Mutter von Gisela war eine Woche vor dem Mauerbau (1961) sogar noch mit dem Flugzeug im Westen. Helmut und Gisela hatten es der Mutter möglich gemacht, nach Saalhausen zu kommen und ihr ein Flugticket gekauft.

Nach dem Mauerbau war es für Rentner möglich, einmal pro Jahr vom Osten aus in die BRD (Bundesrepublik Deutschland) zu fahren. Aber das nur mit der Genehmigung der DDR-Behörden!

Helmut, Gisela und Andrea besuchten die Verwandten regelmäßig einmal pro Jahr. So blieb der Kontakt zu den 3 Brüdern und der Mutter erhalten. 1976 verstarb die Mutter von Gisela. 1987 durften ein Bruder sowie Neffe und Nichte zu Besuch nach Saalhausen kommen. Sie hatten eine Ausreisegenehmigung zu Helmuts 50. Geburtstag erhalten, obwohl sie ja noch nicht im Rentenalter waren.

Gisela sagte bei unserem Gespräch, dass Saalhausen ihre Heimat wurde und sie das Dorf nun auch schon 55 Jahre ihr Zuhause nennt.

In der Schule hatte sie zwar vom Rothaargebirge gehört, wusste aber nicht, wo das Sauerland sein könnte. Bei einem ihrer ersten Einkäufe bei Gregors waren Kunden am Platt kuiern. Sie als Berliner Pflanze hatte da doch arge Schwierigkeiten zu verstehen.

Sektorengrenzen Berlin  (aus Wikipedia)
Sektorengrenzen Berlin (aus Wikipedia)
Das Bild zeigt die Familie Schmelter zum Schützenfest im Jahre 1956
Das Bild zeigt die Familie Schmelter zum Schützenfest im Jahre 1956

Anmerkung der Redaktion:

In vorangegangenen Ausgaben haben wir ja schon über Familien berichtet, die aus Schlesien und im Besonderen der Grafschaft Glatz nach Saalhausen gekommen sind. Uns sind aber auch Saalhauser bekannt, die ihre Wurzeln in Ostpreußen, Pommern oder anderen deutschsprachigen Gebieten außerhalb der ehemaligen Reichsgrenzen haben.

Aber auch in jüngerer Vergangenheit hat es Saalhauser Neubürger gegeben. Z.B. sind nach 1989 und dem Fall der Mauer einige neue Mitbürger hinzugekommen.

Aber nicht alle Saalhauser kamen aus Deutschland, sondern auch aus anderen Ländern zu uns. Die ersten kamen als Gastarbeiter, sind aber inzwischen zu echten Saalhausern geworden. Die Liebe hat zum Verschmelzen dieser Unterschiede beigetragen. Saalhausen ist halt viel zu klein, als dass Integration nicht stattfinden würde. Integration fand und findet statt, besonders, wenn zwischen den Gruppen geheiratet wird. Fehlende Integration zeichnet sich durch Fehlen solcher Hochzeiten aus.

Es wäre schön, wenn wir in zukünftigen Ausgaben ähnliche Familiengeschichten, wie hier der Familie Schmelter, erzählen könnten.

Bitte sprechen sie uns an!


Zurück Inhalt Vor

Diese Seite ist NICHT für einen speziellen Browser optimiert worden.

© 2004-2023 Heimatstube Saalhausen e.V., redaktion@saalhauser-bote.de