Saalhausens vergessene Wege
3. Der Wormbacher Weg
Von Friedrich Reinarz
Bereits mit dem Römern erreichte das Christentum das Rheinland. Unsere Heimat wurde erst viel später missioniert.
Mit dem kriegerischen Vordringen der christlichen Franken über den Rhein gegen die Völkerschaften, welche man später als Westfalen zusammenfasste, verlieh Karl der Große den vereinzelten Bekehrungen durch meist aus Britannien stammenden Missionaren raumgreifend Nachdruck. Herren und Heere zogen dabei auch über den frühzeitlichen Handelsweg von West nach Ost, der die deutschen Orte Aachen, Köln, Kassel, Halle, Leipzig und Breslau berührte. Im Sauerland nennt man den heimischen Abschnitt dieser Strecke Heidenstraße.
Vielfach erklärt man den Namen damit, dass dieser Heerweg dem Feldzug gegen die unchristlichen Sachsen, den „Heiden“ diente. Das halte ich für eine frömmlerische Legende. Eher kann ich denen folgen, welche den Weg über die vielen Höhen führen sehen, welche im Mittelalter für die Holzköhlerei entwaldet, durch gründliches Abweiden und Entnahme der Humusdecke als Einstreu zu vegetationsarmen Blößen, zu "Haiden" verkamen.
An dieser Heidenstraße wurden Pflöcke fränkischer Macht eingeschlagen und es kam vermutlich um 800 nach Christi zu den Gründungen der Urpfarren Attendorn, Wormbach und Medebach. Typisch für eine Erstgründung jener Zeit war das Patronat der Apostel Petrus und Paulus für die Kirche in Wormbach. In dem Seelsorgebereich dieser Pfarrei lagen das obere Lennetal und der Hundemgau.
Bis zur Entstehung der auch Saalhausen umfassenden Pfarre Lenne im 13. Jahrhundert und deren eigenem Friedhof blieb die Kirche in Wormbach, zunächst für die noch oder wieder hier wohnenden christianisierten Franken, und schließlich für alle Bekehrten religiöser Mittelpunkt. Rund fünfhundert Jahre gingen also Christen aus Saalhausen und Umgebung nach Wormbach in die Messe und bestatteten dort ihre Toten.
Wenn man die Übersichtsskizze von Saalhausen für das Urkataster 1832 betrachtet, fällt auf, wie im Nordosten des Dorfes, hinter dem Einegge, die Wege wie ein Fächer auseinanderlaufen.
Zu dieser Zeit folgt ein Weg in gebotenem Abstand dem Lennefluss ostwärts zur Habuche, um die Dörfer Lenne und Milchenbach zu erreichen. Der andere teilt sich nach dem Passieren des Rinsenbraukes dreifach auf. Der erste steigt sogleich steil zum Rinsenberg, so heißt er jetzt noch richtig. Der zweite steuert das steile Tälchen der Saßmecke an und klettert dann auf die Hardt, einer Südschulter des Himberges; bis zur flachen Senke auf ihrem Rücken lässt er sich als Hohlweg leicht verfolgen. Ob hier an der "Haustatt" früher Holz zugerichtet wurde oder gar jemand in der Rodungsphase siedelte, bleibt zu spekulieren.
Der dritte und ausgeprägteste ist unser Weg. Die heutige Verkehrsschlagader des Oberdorfes, die Auerhahnstraße, soeben mit einer neuen Fahrbahndecke versehen, war schon früher Gegenstand behördlicher Sorge. So heißt es 1923 im Kirchhundemer Amtsprotokoll: „Wegen der ungeheuren Belastung der Gemeinde wird eine Grenzfeststellung der Gemeindewege ... beschlossen: 1.... 2. Böddesweg bis zum Böddesbach vor dem Techholz ...“.
Diese Straße bildet im östlichen Teil auch jetzt noch einen Hohlweg. Das ist keine Laune der Straßenbauer, sondern Folge eines starken Verkehrs im Mittelalter und bis Mitte des 19. Jahrhunderts. Wie oft mag in den Generationen die Sohle des Hohlweges schon aufgefüllt worden sein, damit der Böddesbach ihn nicht als Bett eroberte. Denn nass und ungrundig war es damals im Lennetal oberhalb der Felsschwelle zwischen Mühlenknapp und Einegge genug.
Wie heute teilte sich der Weg vor dem Böddesbach. Der erste durchwatete das Gewässer und stieg in klassischer Manier auf dem dahinter liegenden Festen hinan. Seiner Spur folgt jetzt noch im ersten Abschnitt die Teckholzstraße. Bereits auf dem Anwesen der Familie Schöttler steigen die auf dem felsigen Grund nicht überall deutlichen Hohlwege weiter nach Osten , umschlagen den schartigen Rücken des Goldstein, früher Gollstein oder Gellstein, um auf den nördlich anschließenden Sattel, den Übergang zum Böddesberg, zu gelangen. Dieser Platz zum Ausruhen ist heute touristisch als Hohe Schlade markiert und gewährt einen ersten Ausblick nach Osten bis nach Grafschaft.
Den trockenen Anstieg aus dem Lennetal gewährte die langgestreckte Westschulter des Goldstein. Sie heißt auf den alten Karten Techholz und weist auf einen kirchlichen Würdenträger als Besitzer hin; der Ausdruck „Teche“ steckt heute noch in der Amtsbezeichnung Dechant. Die spätere Version Teckholz entspricht mehr der harten Aussprache der Sauerländer Zunge. Auch der dort angesiedelte Flurname Drostenholz hängt wohl mit der weltlichen Funktion früherer Eigentümer zusammen.
Während der soeben
beschriebene Weg über den Berg zog und dafür den Böddesbach
querte, blieb der abzweigende zunächst im Tal über dem
westlichen Ufer des Wasserlaufs. Seine nach Norden führende
Trasse um den Fuß der Hardt ist heute von einer Teerstraße
bedeckt. Erst am Zufluss des Siepens aus der Hohen Schlade spurt er
durchs Wasser und steigt mehr oder minder im tiefeingeschnittenen
Bachbett zum Sattel hinauf. Nur vor dem Quellbereich gräbt sich
ein Hohlweg in den südlichen Hang des Böddes, um die
sumpfige Stelle zu umgehen.
Das Urkataster weist hier auf einen "Holzweg" hin. Das spiegelt die wirtschaftliche Bedeutung; denn um 1570 verkauften Erben des Caspar von Oell den Berg Böddes oder "Bordes" an die Saalhauser Trillinck, Freyde/Wrede, Johann (auf den Steinen?) und Liege/Ledige (Albert K. Hömberg, Akten des Reichskammergerichts, HSO 1954). Noch heute trägt der flache humusreiche Bergrücken einen stattlichen Buchenhochwald. Auf den mir bisher zugänglichen Karten steht jeweils Böddes. Als ich mit Werntropern sprach, klang das Wort tatsächlich "Bordes"!
Oberhalb der morastigen Senke in der Hohen Schlade erkennt man wieder vier ausgefahrene Hohlwege. Sie und der vom Techholz kommende vereinigen sich hier und streben in zwei, jetzt noch mannstiefen markanten Hohlwegen weiter auf den Böddes. Von dort nehmen inzwischen Wirtschafswege die alten Spuren fort und führen wie damals über den anschließenden Buckel des Lammerkopfes auf den Ostgipfel des Auerganges zu. Dessen steile Hänge beherrschen die Gegend und riegeln das Einzugsgebiet des Böddesbaches nach Norden ab.
Von der Höhe des Böddes kürzt ein Weg erst flach und dann steil neben den Böddesfelsen hinunter bis zum Zusammenfluss der beiden Gewässer ab, der sicher nur für leichte Fuhren oder leere Karren gedacht war. Dieser Platz, "An den Buchen" genannt, wird heute von einer Teichanlage mit Haus gestaltet. Sowohl im Böddesbach als auch im Schladesiepen zweigen vorher ein Dutzend Zisternen kostbares Nass für Saalhausen ab. Die in den 80er Jahren erbaute Anlage leitet das Wasser zu dem Filterhaus auf dem Schlehbergelchen.
Vor der nächsten Richtungsänderung trifft unser Weg auf den Greitemann-Stein. Der Gedenkstein ist von zahlreichen Legenden umwoben, eine davon ist auch in der Saalhauser Chronik von 1981 aufgenommen. Die darin enthaltene Schilderung eines Leichentransportes im Kohlenwagen nach Köln und zurück wirkt ebenso fantastisch wie unwahrscheinlich.
Konkret sollen Greitemann und sein Widersacher wegen eines strittigen Waldes an einem Septembertag des Jahres 1706 vor das Gericht in Bilstein gezogen sein. Greitemann obsiegte und wurde auf dem Rückweg von seinem Kontrahenten erschlagen.
Falls die Bluttat wirklich nahe der Gedenkstätte geschah, ist die Route der beiden bemerkenswert. Beide stammten aus Menkhausen, welches nördlich von uns an der Wenne liegt.
Von Bilstein dorthin konnte man auch damals den bekannten "Römerweg" über Grevenbrücke, Elspe, Cobbenrode und dann ostwärts über Niederlandenbeck fuhrwerken.
Ebenso stand die Linie „Römerweg“, ab Elspe "Heidenstraße" bis Bracht und sodann "Kriegerweg" nach Niederlandenbeck zur Wahl. Doch unsere Streithähne zogen offensichtlich von Bilstein über die Rüberger Brücke, den Hundemer Weg auf Saalhausen, um über unseren Weg nach Felbecke, Selkentrop, Berndorf und heimwärts zu gelangen.
Warum? Nach meiner Lebenserfahrung kehrt der Prozesssieger am Platze ein. Der Unterlegene räumt sogleich den Kampfplatz und trinkt sich woanders einen. Wo? Natürlich in dem weit und breit größten Dorf der Gegend mit den meisten Schnapsschenken: Saalhausen!
So hat unser Dorf wahrscheinlich Anteil am tragischen Geschehen zwischen zwei Wegekundigen.
Einer könnte den anderen eingeholt haben, vielleicht sind sie aber auch von Saalhausen gemeinsam weitergefahren.
Mit dieser (schnaps-)ernsten Spekulation möchte ich heute schließen. An diesem Punkt des Wormbacher Weges werde ich demnächst wieder ansetzen.