Saalhauser Bote Nr. 16, 1/2005


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Tagebuchaufzeichnungen zum Kriegsende 1945

- von Thea Schöttler geb. Rameil-Lutzen -


Etliche Monate sind verflossen, seitdem die furchtbaren Wogen des Krieges unser Land überfluteten.


Wie man so sagt, sollen die schweren Stunden, wenn die Zeiten besser werden, schnell vergessen sein. Wenn dies hierin auch wohl nicht der Fall ist, so soll doch auch unsere Nachwelt wissen von den schrecklichen Geschehnissen des Krieges. Auch unsere Soldaten, die wir in russischer Gefangenschaft hatten, sollen nachlesen können, wie unser Vater im Himmel trotz der großen Gefahren uns mit Haus und Hof beschützt hat.

So will ich also versuchen, all die Ereignisse in diesem Büchlein festzuhalten und somit den Lesern eine wahrheitsgetreue Schilderung machen über all die Not und das Elend, in das die Nazi-Regierung mit ihrem unseligen Krieg das ganze deutsche Volk gestürzt hat.


Die Front rückte immer näher. Nun, da der Kampf sich auf deutschem Gebiet abspielte, war es uns klar, dass wir den Krieg nicht mehr gewinnen, sondern dem vollständigen Untergang entgegen gingen. Die Märchen über die geheimen Waffen, die noch eingesetzt werden sollten, konnten uns nur noch ein überlegenes Lächeln abringen. Waren sie wirklich vorhanden, mussten sie im Feindesland gebraucht werden, nicht aber hier auf deutschem Boden.

Je mehr unsere Herren an der Regierung den Mund aufrissen und Hetzreden führten gegen den Feind, umso mehr bangte die Bevölkerung für die darauf folgenden Bombenangriffe.


Obschon im Anfang nur die Großstädte von den Fliegern aufgesucht wurden, war jetzt auch durch das ständige Näherrücken der Front unsere Heimat durch die Tiefflieger stark heimgesucht. Da galt es nun sein eigenes Leben schützen und in Sicherheit zu bringen.


So fingen wir denn Ende Februar an, unseren Kartoffelkeller, der ganz in der Erde liegt, abzustützen, also ihn direkt in einen Luftschutzkeller umzuwandeln. Rundherum und auch von einem Balken zum anderen wurden Sitzbänke angebracht. Er sollte nicht nur für uns, sondern für die ganze Nachbarschaft sein. Selbst die Luftschutzapotheke fehlte nicht. Alles an Wäsche und Kleidungsstücken, das nicht unbedingt nötig war, schaffte man in den Keller. Dann zuletzt auch wurde das Kruzifix an einen Balken gehangen. Der leidende und sterbende Heiland sollte in den schweren Stunden mitten unter uns weilen. So also waren wir für kommendes Unheil gerüstet.

Ob Morgen, Mittag oder Abend, man wusste nicht mehr, ob Vollalarm, Entwarnung oder akute Gefahr war. Die Sirenen heulten den ganzen Tag. Kein Zug, kein Auto, kein Pferdefuhrwerk konnte sich auf der Straße blicken lassen, oder es wurde von den Fliegern sofort unter Feuer genommen und war somit dem sicheren Untergang geweiht.

Wagte unsere kleine Bimmelbahn sich auf die Strecke von Altenhundem nach Fredeburg, dann wurde sie sicherlich, auch wenn es bei Dunkelheit war, angegriffen. So gab es dann jedes Mal Tote und Verletzte, bis dann kein Mensch mehr wagte mit der Bahn zu fahren. Von diesen Angriffen zu schreiben würde zu weit führen.

Es soll genügen zu wissen, dass, wenn die leergeschossenen Hülsen auf die Dächer und Treppensteine rasselten, wir uns am sichersten im Keller fühlten und da auf den Knien liegend, Gott um Schutz und Hilfe anriefen. War die Luftgefahr vorbei, fand sich alles, ob Nachbarschaft, Evakuierte und unsere Familie in der Küche am warmen Herd zusammen. Dann erst, wenn man wieder durchwärmt war, ging's an die vorhin halbfertig gewordene Arbeit.


Ein geregeltes Leben kannten wir nicht mehr. Die Kühe allerdings wussten noch ihre Futterzeiten. Unsere Anna, die Russin, ließ sich auch nicht durch die tollste Schießerei beeinflussen, sie arbeitete seelenruhig weiter. Sie kannte keine Angst. Es machte ihr dann das größte Vergnügen, uns das Neueste, wie viel Flieger, welcher Typ, Ziel des Angriffes usw. mitzuteilen. Auch Michel, der Pole, ließ sich so leicht mit den Pferden nicht vom Feld treiben. Er stellte sich 10 Schritt vom Gespann fort und winkte mit der Hand zum Flugzeug hinauf. Es hat wirklich immer gut gegangen, obschon sonst auf jedes Pferd geschossen wurde.


Eine Tour, es war auf Herz-Jesu-Freitag im März, griffen morgens um 7.30 Uhr 6–7 der doppelrumpfigen Flugzeuge einen Lazarettzug an. Dieser kam von Olpe und sollte im Hochsauerland ausgeladen werden. Mama, Karl Bernhard und ich waren in der Kirche.

Es war am Schluss der hl. Messe, wo gerade die hl. Kommunion ausgeteilt wurde. Da gab es auf einmal ein Heulen und Sausen um den Kirchturm, eine tolle Schießerei fing an, dass einem Hören und Sehen verging. Wie es da an Tumult und Durcheinander gab, kann sich keiner vorstellen. Wir in der Kirche wussten ja nicht, worum es sich handelte, welches Angriffsziel es war. Die Kinder riefen nach der Mutter und die Mütter gedachten der kleinen Kinder, die sie noch daheim im Bettchen wussten.

Alles strömte in der Not zu den Ausgangstüren. Aber da kamen Gott sei Dank die Soldaten (wir hatten die erste Einquartierung in die Schulen bekommen) angelaufen und hielten die Menschen zurück, denn man wäre ja ins sichere Verderben gerannt. Die Soldaten kamen, um in den dicken Kirchenmauern Schutz zu suchen. Es war ein herzzerreißender Anblick, wie sich nun alle um den Hochaltar scharten, worauf das hochwürdigste Gut noch ausgestellt war, und mit erhobenen Händen und lauter Stimme Gott um Hilfe anflehten.


Auch bei dem Muttergottesaltar, der Immakulata und der schmerzhaften Mutter hatte man sich versammelt um dort eine Fürsprecherin bei Gott zu finden. Dabei ratterte es ununterbrochen aus der Bordkanone. Ein Flugzeug nach dem andern flog an. Es dauerte 20 – 25 Minuten.

Karl Bernhard war Messdiener. Man musste staunen über die Ruhe, die er dort und auch nachher bei allen Angriffen bewahrte. Als die Schießerei nachließ, eilte alles nach Hause.

Nun erst erfuhren wir von dem Lazarettzug, der nun mitten im Dorf auf der Strecke liegen bleiben musste. Die Lokomotive war lahm gelegt und der erste Wagen (Packwagen) war auch zerschossen. Sonst aber hatte der Feind nicht einen Schuss in die mit Verwundeten beladenen Wagen getan. Wir waren eben von der Kirche zu Haus, als man auch schon wieder die Jabos (Jagdbomber) kommen und kreisen sah. Nun war ja dadurch, dass der Zug nicht weiter konnte, das ganze Dorf in großer Gefahr, denn mit nochmaligem Angriff war bestimmt zu rechnen. Darum zogen denn alle Bewohner an der Bahn aus. Tante Threschen (Willers) kam mit allen Kindern zu uns rüber. Die Kleinen, wie Ernstchen und Franziska hatten noch im Bett gelegen und kamen ohne Schuhe und Strümpfe angelaufen. An diesem Tag wurde der Keller nicht leer, denn die Tiefflieger waren da, bevor es Alarm gab. Die Verwundeten waren alle ausgeladen und in die nächstliegenden Keller gebracht worden.

Einige mal noch am Tag flog der Feind den Zug an. Abends spät um 11 Uhr kam dann eine Lok und holte den Zug ab. Da haben wir alle wieder aufgeatmet.


So gingen die Tage dahin, Alarm, Entwarnung und schon wieder Alarm. Wir waren ja nicht so leicht in den Keller zu kriegen, dagegen saßen andere von morgens 9 Uhr bis abends 10 Uhr in den nassen Stollen-Bunkern.

Wenn es brenzlig wurde, schickten wir Mama und Karl Bernhard sofort in den Keller. Hiltrud und ich standen dann noch auf Posten bis dann auch unsere ruhigen Nerven versagten.

So wurde von Tag zu Tag die Gefahr größer. Wir fühlten uns im Keller nicht mehr sicher. Da haben wir dann zu Dreien: Schulten, Göbeln und wir eine Hütte in die Rimsecke (Rossnacken) gebaut. Zu Dreien, das sollte den Zweck haben, wenn wir wirklich die Hütte mal bewohnen mussten, wir zu mehreren beisammen waren. Aber allein wären wir in dem Wald nicht geblieben, denn einer machte es dem andern nach. Es entstand eine schöne Hüttenkolonie. Innerhalb von 8 Tagen waren rund 10 Hütten hochgebaut.

Unsere Hütte maß 3 x 6 m und hatte einen Keller in der Erde und doppelte Wände. Jeden Tag zogen Lehrer Plitt mit Joseph, Papa mit Hans und Karl Bernhard hinauf, denn es war schon Eile nötig, wenn sie rechtzeitig fertig werden sollte. Für zwischen die Wände harkten wir trockene Fichtennadeln zusammen, dadurch wurde sie dann recht dicht und warm. Jeder musste es zugeben , unsere war die schönste geworden. Da waren wir denn auch nicht wenig stolz drauf. Auch von innen sah sie recht häuslich aus. Göbeln lieferten den Herd, Tisch und Bänke wurden selbst gezimmert. Das war ein Klopfen und Hämmern, ein eiliges Schaffen in dem Wald, gerade so, als wenn man ein Märchenbild sieht, wo die Zwerge für Schneewittchen ein Schloss bauen.

Auch die Hütte war nun fertig. Wieder eine große Beruhigung, Lebensmittel, Wäsche und auch uns selbst darin in Sicherheit bringen zu können.


Fortsetzung im nächsten Heft






Diese Art von Flugblättern wurde in den Kriegsjahren über der Front oder der Heimat abgeworfen. Das Original des hier abgebildeten Flugblattes stellte uns A. Rameil, Auerhahnstraße , zur Verfügung.



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