Saalhauser Bote: In der Ausgabe 2 / 2007 des Saalhauser Boten haben wir den Brief des Kompanie-Chefs, Leutnant Bumzel veröffentlicht, in dem Deinen Eltern mitgeteilt wurde, dass man nach einem Angriff auf Deinen Unterstand durch die Russen nichts mehr über Dein Schicksal wusste. Mit anderen Worten: Du wurdest als vermisst erklärt. Viele Saalhauser haben uns nach Erscheinen des Boten befragt, wie es Dir denn nun ergangen ist. Man möchte gerne wissen, welches Schicksal Dir widerfahren ist.
Paul Rötz: Gestern habe ich den Film „So weit die Füße tragen“ im Fernsehen gesehen. Schlagartig wurde ich wieder an meine damalige Situation erinnert. Vieles habe ich auch so oder ähnlich erlebt. Wir wurden als Gefangene geschlagen, wer flüchtete kam nur als Toter wieder ins Lager zurück und er wurde als abschreckendes Beispiel den Gefangenen präsentiert. Aber ich sollte der Reihe nach erzählen.
S.B.: Wie hast Du diesen Angriff erlebt? Dein Leutnant schrieb ja, Du habest bis zuletzt gekämpft. Wie ist der Kampf ausgegangen?
P.R.: Ich habe hierzu auch einige Gedächtnislücken. Ich war zum Schluss der einzige, der noch abwehren konnte. Erinnern kann ich mich an einen gewaltigen Knall und einen Feuerball etwa einen Meter vor dem Fenster unseres Bunkers. Von da an weiß ich nichts mehr.
S.B.: Die Explosion hat Dir sicher das Bewusstsein genommen. Was war, als Du wieder erwachtest?
P.R.: Als ich wach wurde, es muss wohl gar nicht so lange gedauert haben, spürte ich etwas Schweres auf meinem Bein. Ich stellte bald fest, dass es der einzige Kollege war, der mit mir in dem Bunker noch durchgehalten hatte. Er lag auf meinem Bein und stöhnte furchtbar. Er musste wohl sehr stark verwundet worden sein. Er stöhnte immer wieder, dass er so fröre. Ich flüsterte ihm zu, er solle sich ruhig verhalten. Er schleppte sich von mir weg und wollte sich wohl ein Kleidungsstück von der Wand nehmen. Er machte dabei aber Geräusche dadurch, dass er gegen Kochgeschirre stieß. Das, so merkte ich, hörten die Russen. Sie begannen zu schießen. Sie schossen in unseren Unterstand und trafen meinen Kameraden voll, so dass er gleich tot war. Ich höre heute noch das Geräusch, wie die Kugel in seinen Körper schlug. Da ich etwas russisch verstand, hörte ich, dass Sie befahlen, es solle eine schwere Granate gebracht werden. („Bolschoi de Granada idi suda“, so klang es, ob es so geschrieben wird, das weiß ich nicht.) Ich wusste aber, was mir bevor stand. Mit dieser Granate sollte der Bunker endgültig hochgesprengt werden. Ich hatte nur noch eine Granate in meiner Nähe, die mit einem Abzug scharf gemacht wurde. In meiner damaligen Lage hatte ich den Gedanken, auch im Angesichte meines Todes so viele Feinde mitzunehmen wie eben möglich. Wenn es auch nur eine kurze Zeit war, so gingen mir doch Gedanken durch den Kopf, die man nicht mehr vergisst. Ich sah meine verstorbene Mutter vor Augen und dachte: „So, jetzt bin ich bald bei Dir.“ Dennoch kam mir wirklich der Rachegedanke und ich schleppte mich an den Ausgang; „Wenn die jetzt hier eine Granate rein werfen, dann ziehe ich meine Granate ab, um auch Verluste bei den Gegnern zu erzielen.“ Ich hörte aber, dass ein russischer Soldat kam und in deutscher Sprache rief: „Fritz komm raus.“ Es kam oft vor, dass die Deutschen von den Russen Fritz genannt wurden. Er rief einige Male und ich antwortete: „Nicht schießen, nicht schießen!“ Ich musste 4-5 Stufen hoch und dann waren wir im Schützengraben, der Hauptkampflinie. Sie packten mich und führten mich weg.
S.B.: Ich kann mir vorstellen und man merkt es Dir an Paul, dass Dich auch nach so langer Zeit diese Schilderung Deiner damaligen Situation, in der Du große Todesängste hattest, noch heute stark aufwühlt. Was geschah nun mit Dir, warst Du verwundet?
P.R.: Die Russen waren ja in unsere Stellung eingebrochen und ich wurde nun ins Niemandsland gebracht. Das erste, was mir geschah, war die Frage: „Hast Du Uhri (eine Uhr)?“ Sie wurde mir sofort abgenommen. Dieser etwas Deutsch sprechende Soldat hatte mich zurückzuführen. Er wachte aber auch über mein Leben, denn es waren unterwegs genug Soldaten, die mich erschießen wollten. Ich glaube nicht, dass er mich nur aus Menschlichkeit beschützte. Er hatte mir nämlich erzählt, dass die Russen für eine Gefangennahme Urlaub erhielten. Er brachte mich zu einer Stelle, wo ich dann von russischen Offizieren mit Dolmetschern verhört wurde. Ich musste alles abgeben, was ich bei mir hatte. In einem Verbandspäckchen hatte ich einen Rosenkranz, den mir meine Oma gegeben hatte. Mit diesem machten sie sich noch ihren Spaß. Auch ihn habe ich nicht wieder bekommen. Es blieb mir nur ein blutiges Taschentuch. Ja, ich war ja von einem Kniedurchschuss verwundet und noch heute habe ich verkapselte Splitter in der Kopfhaut und so kam ich dann in ein Lazarett, in dem auch die russischen Soldaten versorgt wurden. Zart angefasst wurde ich nicht und auch in dem Lazarett wollte mich ein wütender Soldat erschießen. Der Hass der Russen war ja ganz erklärlich und ich weiß nicht, ob die Deutschen sich anders verhalten haben.
S.B.: Es muss eine schreckliche Zeit für Dich gewesen sein, als junger Kerl in Feindes Land ohne Gewissheit, wie es weiter gehen soll und wohin es Dich verschlägt. Wie viel Zeit war bisher vergangen und wie ging es weiter mit Dir?
P.R.: Dies alles war an einem Tag passiert. Als es dunkel wurde, wurde ich eingeschlossen. Während des Verhörs hatten sie mir Grabhügel gezeigt und deuteten mir an, dass ich auch dort liegen würde, wenn ich nicht auspackte und die Wahrheit sagte. Am anderen Tag wurde ich mit einem Panjewagen (kleiner Pferdewagen) ins Landesinnere aus dem Frontbereich herausgefahren. Unterwegs war ein Halt bei einer Ärztin, die meine Wunden versorgte. Die Ärztin sah meine Unterlagen und Papiere durch und fragte auch auf Deutsch, ob ich das auch wäre, so schlimm muss ich wohl ausgesehen haben. Es ging immer weiter zurück und neben dem Einschließen wurde ich immer wieder verhört. Zwei Tage blieb ich alleine und dann kam ein weiterer deutscher Gefangener dazu. Zu diesem hatte ich nach der Heimkehr sogar noch Kontakt. Ich habe ihn in Oldenburg einmal besucht, als ich schon Rentner war. Er war Landwirt. Nach vielen Jahren habe ich ihn am Telefon sofort an der Stimme erkannt.
S.B.: Zurück zu Dir.
P.R.: Nach drei bis vier Tagen Fahrt blieben wir dann einige Wochen an dem letzten Halt. Über den Ort erfuhren wir nichts. Ich weiß dann nur noch, dass wir mit 12-14 Personen auf ein Schiff gebracht wurden. Es waren Deutsch sprechende Matrosen auf dem Schiff, die uns sagten, wir kämen auf die Insel Kronstadt vor Leningrad (heute wieder St. Petersburg). Man brachte uns nach Leningrad in ein Zuchthaus. Hier waren wir von Ende November bis Weihnachten. Zu Essen gab es eine Suppe mit Kohlblättern, tagtäglich! In Leningrad verlud man uns in Waggons. Diese waren mit Stahlstäben versehen. Sie sahen aus, als ob sie zum Transport von Raubkatzen genutzt würden. Fingerdicke Stäbe bildeten Abteile, in denen wir eingepfercht waren. Etwa drei Wochen waren wir unterwegs. An einem Tag hörten wir aus einigen Waggons Weihnachtslieder und erfuhren dann auch, dass in unserem Zug Volksdeutsche abtransportiert wurden. Wo es hin ging, das wussten wir nicht. Ein Ort ist uns bekannt geworden: Archangelsk. Andere Orte sind ja in der Karte des vorherigen Berichtes im Boten 2/2007 zu finden. Meine Gefangennahme passierte ja auf der Höhe von Leningrad. In dem Zug bekamen wir unsere spärlichen Rationen. Die Russen kannten den Begriff Kalorien und so er hielten wir die uns zustehenden Kalorien in Form von Brot, Suppe oder Kascha (Buchweizengrütze, ein schwerer Brei). Wir erfuhren, dass uns 750 Kalorien am Tag zugestanden wurden. Tausend Kalorien bekam eine voll arbeitsfähige Person. Später beim Arbeitseinsatz wurde alles in Prozenten bewertet und so bekam man bei hundertprozentiger Sollerfüllung noch 250 Kalorien zusätzlich. Bei den Stopps auf Bahnhöfen hatten wir mehr Bewacher als wir selbst waren. Das war nötig, weil viele aus der Bevölkerung uns nach dem Leben trachteten. Man bedrängte uns und bewarf uns mit Eisklumpen. Die Bewacher gingen mit Gewehren gegen diese Zivilisten vor. S.B.: Wenn auch am unteren Limit, aber man hielt Regeln ein und versorgte Euch. Wo war Euer vorläufiges Reiseende?
P.R.: Unsere Verlegung, so nannte man das, endete am Weißen Meer in Archangelsk. Zwischendurch wurden wir auch schon zu Arbeiten herangezogen, aber es würde zu weit führen, wenn ich das noch alles aufzählte. Strenge Bewachungen und harte Methoden ließen ein Fliehen unmöglich werden. Man staunt immer noch, wie man alles überstanden hat. Wir kamen in ein Gefangenenlager und mussten in einem Verladehafen arbeiten. Dort hatte ich ein schweres Nierenproblem, weil wir Salz gegessen hatten, das dort auf der Erde lag. Ein Schiff mit Kartoffeln war zu entladen und da nur wenige Entladegeräte vorhanden waren, versprach man uns: Ihr könnt soviele Kartoffeln mit ins Lager nehmen, wie Ihr tragen könnt, wenn Ihr das Schiff leer bekommt. Diese Kartoffeln wurden auch zu Tauschobjekten im Lager und sie waren willkommene Zusatzrationen. Selbst die Posten tauschten gerne mit uns, denn sie hatten ja noch weniger als wir. Hier in Archangelsk waren wir schon Spezialisten für Hafenarbeiten. Es erfolgten Verlegungen, so dass ich auch in der Landwirtschaft arbeiten musste. Verlegt wurden wir mit Zügen in einfachen Waggons. Meine weiteste nord - östlichste Station war Workuta, an den Ausläufern des Ural gelegen.
S.B.: Im Internet fand ich hierzu folgenden Text: Schreckensort Workuta Schnee und Eis haben sich wie ein Leichentuch über die zerfallenen Häftlingsbaracken, über die Massengräber gelegt. Etwa zwei Millionen Menschen ließ Stalin in die Einöde deportieren in Dutzende Zwangsarbeitslager. Sie bauten die Bergwerke, in denen sie zugrunde gingen, vernichtet durch Arbeit. Workuta: ein Schreckensort auch für viele tausend Deutsche während des Zweiten Weltkriegs und danach. Workuta: ein Ort des Grauens für Kriegsgefangene und Verschleppte. Zehn Monate im Jahr herrscht hier Winter mit Temperaturen um minus 50 Grad. Workuta: Ein verfluchter Ort, eine Stadt auf Kohle und Blut, gebaut von Zwangsarbeitern. Aber nur ein paar Kreuze erinnern noch an die vielleicht 200.000 Toten.
P.R.: Ja es war eine harte Zeit, die Gottseidank 1948 doch noch ein Ende fand. Wir glaubten manchmal gar nicht mehr an eine Heimkehr. Die politischen Häftlinge wurden aber noch viel härter behandelt als wir. In diesen gewaltigen Gefangenenlagern in Workuta starben viele Menschen, die wegen der schlechten Ernährung schlimme Krankheiten hatten. Von allen gefürchtet war der Typhus. (Anm.d.Red.: Als Typhus, auch Bauchtyphus, werden schwere fieberhafte Infektionskrankheiten bezeichnet, welche meist mit Durchfall verbunden sind und durch Salmonellen hervorgerufen werden. Unbehandelt sind die Krankheiten gefährlich und können zum Tod führen.) In unserem Lager in Workuta ist die Hälfte der 900 Gefangenen gestorben. Als das Lager 1946 aufgelöst wurde, sortierte man mit einer einfachen Methode die aus, die Richtung Heimat / Moskau in Waggons verbracht wurden. Man kniff allen in den Po und bei denjenigen, bei denen noch etwas mehr als Haut zu spüren war, hieß es: „ Arbeitsfähig, ab in den Waggon“. Es ging in Richtung Süden ins Donezbecken. Immer wieder, wie in Workuta, kam man vor solche Kommissionen, die einen nackt begutachteten und nach der Arbeitsfähigkeit einteilten (Kneiftest).
Überwiegend hatte ich in Workuta in der Landwirtschaft, im Lager, und im Hafen in der Schiffsreparatur gearbeitet. Auch hier wechselten wir manchmal die Lager. Unter anderem wurde ich eine Zeit lang zum Einrammen von Pfählen in einen großen Fluss eingesetzt. Wir hatten als Gruppenbezeichnung das Wort Brigade. Da ich etwas die russische Sprache sprach, wurde ich sogar als Brigadier eingesetzt. Das brachte mir einige Vorteile. Wenn wir vom Fluss ins Lager marschierten, mussten alle Holz schleppen für unsere Öfen. Der Brigadier brauchte nichts zu schleppen. Wenn ich eben konnte, half ich natürlich auch. Es war so, dass wirkliche Spezialisten auch zu speziellen Arbeiten herangezogen wurden und sie kamen dann auch in bessere Bereiche.
Wie lernten auch Mädchen kennen, die genauso zu schweren Arbeiten herangezogen wurden wie die Männer. Viele waren verschleppt worden aus den damaligen deutschen Ostgebieten. Sie suchten zu uns Kontakt und so weit sie es konnten, putzten sie sich fein heraus. Sie lebten in sogenannten Zwangsgebieten und hatten einen Auslauf von 10 km Umkreis. In Archangelsk lernte ich ein junges Mädchen kennen. Sie hatte einen Plan, mit mir zu flüchten. Wir reparierten alte Schiffe und auf diesem Wege wäre vielleicht eine Flucht möglich geworden, aber der Plan ließ sich nicht durchführen. Wie ich schon sagte, unser Lager in Workuta wurde 1946 aufgelöst, da von den 900 Gefangenen die Hälfte verstorben war. Es war eine lange Fahrt, quer durch Russland bis ans Schwarze Meer. Das Lager lag zwischen Markijiwka und Rostow am Don. Eineinhalb Jahre schuftete ich im Bergbau, viel musste man auf den Knien rutschen, so dass ich schwere Entzündungen bekam. Die Flöze waren teilweise unter 90 cm hoch. Ich kam in ein Lazarett. Danach kam ich aber vom Regen in die Traufe: Als ich wieder gesund war, musste ich in den Steinbruch. Hier hieß es dann: „Steine schleppen.“ So mussten die einen Steine brechen, andere trugen sie heraus, andere stapelten und wieder andere halfen beim Verladen. Alles wurde vermessen und mit Sonderrationen belohnt, wenn das Soll übererfüllt war. Wir tricksten natürlich, in dem wir beim Stapeln Hohlräume machten, um schneller und leichter die Stapel zu füllen und um an mehr Prämien zu kommen.
Neben den Strapazen in den verschiedensten Lagern habe ich aber auch noch weite Sonnenblumenfelder in meiner Erinnerung. Die schwarze Erde bekam durch die Hitze Risse. Auch die Bewacher zeigten manchmal freundschaftliche Züge. Ein Erlebnis fällt mir gerade ein, wo es war, weiß ich nicht mehr genau: Ein Bewacher konnte gar nicht verstehen, dass wir nichts mit den Mädchen zu tun haben wollten. Er schickte uns eines Abends ein paar Mädchen in unsere Baracke und schloss eine Zeit lang die Tür ab. Die Mädchen wiederum konnten überhaupt nicht verstehen, dass wir nur auf ihre Taschen starrten, weil wir hofften, dass Sie mit Obst oder anderen Lebensmitteln gefüllt seien. Von 1946 -1948 war ich also im Don-Gebiet und man erfuhr nur wenig, wie es in Deutschland nach dem Krieg aussah.
S.B.: Wie erfuhrst Du, es geht nach Hause, wie war die Heimreise, was weißt Du noch von der Heimkehr selbst? Wie wurde gestartet?
P.R.: Ab 1946 durften wir manchmal eine Karte nach Hause schreiben. Sie wurde zensiert und die Post von zu Hause durfte auch nicht viel an Informationen enthalten. Wir sind ja oft belogen worden. Oft hörten wir: „ Skowa da Moie“ (?) „Morgen nach Hause!“ Es wurde nie etwas daraus. Als wir dann im November 1948 wieder verladen wurden, hat man gar nicht geglaubt, dass es wirklich nach Hause ging. Nach ein, zwei Tagen merkte man doch, dass es Richtung Westen ging. Ich weiß es nicht mehr genau, aber wir waren mindestens 14 Tage bis 3 Wochen unterwegs. Es ging in die Ostzone, Frankfurt / Oder, da riefen uns Leute zu: „Vergesst uns nicht“ Wir konnten damit gar nichts anfangen, was reden die denn da?
Es ging bis zum Lager Friedland. Wir wurden entlaust, obschon wir in Russland ständig entlaust worden waren und auch keine Läuse mehr hatten. (Alle vier bis sechs Wochen war großes Waschen mit Entlausung). Das ist sicher vielen bekannt, wie es in Friedland ablief mit Befragungen durch das Rote Kreuz und Ausstellung von Entlassungspapieren. Dort blieben wir eine Nacht und dann ging es mit dem Zug bis Hamm. Von dort fuhren wir mit einem englischen Lastwagen nach Hagen. Die Papiere enthielten den Bestimmungsort Altenhundem. Im Zug kam dann ein Schaffner und verlangte, ich solle ihm die Fahrt bezahlen. Wir hatten aber gar kein Geld bekommen. Als er zu schimpfen begann, wurden die übrigen Fahrgäste sehr böse mit ihm. Die Fahrt ging bis Altenhundem. Im Zug war ein Bahnbediensteter Wiese, der mich kannte. Er hat nach Altenhundem angerufen, so dass ich dort von Bekannten abgeholt wurde. Mein Vater war nicht erschienen, weil ihm das wohl zu sehr an die Nieren gegangen wäre. Ein besonderer Empfang, wie von Spätheimkehrern bekannt, war es nicht. Es waren Nachbarn und Schulfreunde und die jüngste Schwester, die ich noch gar nicht gesehen hatte, auf dem Bahnsteig und nahmen mich in Empfang. Natürlich war ich völlig unterernährt und arbeitsunfähig geschrieben worden. Der Hausarzt sorgte dann für eine Kur, da wir schon fast als Spätheimkehrer galten, obschon die eigentlichen Spätheimkehrer ja 1953 durch Konrad Adenauer frei gekommen sind. Meine Kur trat ich in Gleierbrück bei Föhres, später Kleimann, jetzt Wohnpark Gleierbrück an. Bei den Spaziergängen ins Dorf lernte ich meine jetzige Frau Mathilde kennen, die ich dann auch nach zwei Jahren heiratete. Mit 5 Jahren Unterbrechung wohnten wir in ihrem elterlichen Haus bis Anfang Februar 2008. Wir sind nach Fleckenberg zur Familie der Tochter gezogen. Die Kur damals dauerte vier Wochen. So etwa 30 Personen waren wir.
S.B.: Wir vom Saalhauser Boten danken Dir Paul, dass Du uns Deinen schweren Weg in der Gefangenschaft hast miterleben lassen. Du hast uns ja erlaubt, dass wir ein Tonband haben mitlaufen lassen und somit haben wir ein wichtiges Zeitdokument eines Saalhauser Bürgers, der als vermisst erklärt wurde und dem eine lange beschwerliche Gefangenschaft nicht erspart wurde und der, wie Du selbst sagtest, dank eines guten Schutzengels relativ heile wieder zu Hause angekommen ist. Für das Einleben in Eurer neuen Umgebung in Fleckenberg wünschen wir Dir alles, alles Gute. Selbstverständlich erhältst Du auch weiterhin den Saalhauser Boten durch uns ins Haus. Eine letzte Frage noch: „Wie gelang der Start“? P.R.: Der Start, ohne einen Pfennig Geld, war nicht einfach. Ich hatte zum Beispiel auf dem Pfarramt in Altenhundem gefragt, ob sie nicht etwas Zeug für mich hätten. Dort wurde ich sehr krass abgewiesen. Irgendwie hat man es geschafft. Ich habe jede Arbeit angenommen, um etwas an Geld zu kommen. 1949 hatte mein Vater mir geholfen, dass ich bei Sachtleben anfangen konnte. Er hörte dort auf, damit ich anfangen konnte. Dort blieb ich bis zu meiner Verrentung 1977.
Zur Person Paul Rötz
Geboren: 06.02.1922 in Altenhundem. Volksschule in Altenhundem; Entlassung 1936. Jungvolk-Zeit war ein Muss aber auch Kontakte zur Kath. Jugend z.B. mit Ewald Büngener. Ausbildung/Arbeit im Langeneier und Meggener Metall-Werk. 1941 Beginn der Militärzeit mit Ausbildung in Gütersloh und Stationen in Holland und dem Osten. Beim Militär weitere Ausbildung im Nachrichtenwesen und zum Unteroffizier. Noch als Obergefreiter in die Gefangenschaft gekommen. (1943-48). 1951 Heirat und Umzug nach Saalhausen Arbeit auf Sachtleben bis 1977 Saunameister in Saalhausen von 1972-1997.