Wer kennt sie noch?
Die Rheinland-Pfalz-Weinterrasse Ziemer in Saalhausen?
von Carola Schmidt (Text & Fotos)
In einer früheren Ausgabe des Saalhauser Boten be-
richtete Günther Zoppe über die Weinterrasse Ziemer
(saalhauser-bote.de, Ausgabe 2/2010). Über die da-
maligen Informationen hinaus ergaben die Recherchen
einige aufschlussreiche Ergänzungen zu Gedanken,
die sich in den Jahren der Nachkriegszeit sicherlich
mancher Einwohner in Saalhausen und Umgebung ge-
macht hat: Wie konnte nach 1950 in den Jahren des
Wiederaufbaus Deutschlands ausgerechnet mitten im
Sauerland, in Saalhausen, eine Weinstube eingerichtet
werden? Dabei lag ein Großteil Deutschlands noch in
Schutt und Asche, viele Menschen litten unter bitterster
Armut und Wohnraum war immer noch knapp.
Der aus dem Großraum Speyer stammende Eduard
Ziemer war über Kontakte zur Familie Stubenrauch (Kä-
the Stubenrauch, geborene Gastreich) nach Saalhau-
sen gezogen, wo er ein Mehrfamilienhaus am Teckholz
oberhalb der Fabrikgebäude Hammeke in Saalhau-
sen baute. Der Antrag auf Baugenehmigung von acht
Werkswohnungen für Mitarbeiter der Firma Hammeke
erfolgte 1951 – der erste Teil war 1952 bezugsfähig.
Das Foto zeigt hinter der Bundesstraße B 236 den Blick
auf die frühere Firma Hammeke, darüber das alleinste-
hende Gebäude von Eduard Ziemer, vor dem Anbau der
Terrasse.
Heim für dutzende Personen – ohne Kanalanschluss
In dem Gebäude entstanden zunächst einfache Woh-
nungen ohne eigene Badezimmer. Pro Etage wurde ein
Badezimmer von allen Bewohnern der Etage genutzt.
In der heutigen Zeit undenkbar, aber nach dem 2. Welt-
krieg war ein Dach über dem Kopf für viele schon eine
Wohltat. Jede Wohnung verfügte über einen Ofen zum
Heizen und Kochen. Mehrere Dutzend Personen, meist
Kriegsvertriebene, lebten zunächst in dem Haus.
Aufgabe der Weinterrasse.
Im Jahr 1955 erfolgte der Anbau an der linken Haussei-
te, wobei beim Bauantrag auf die geplante Nutzung als
Weinlokal hingewiesen wird. Ende 1955 war der Neu-
bau fertig. Zunächst bewirtschaftete Ziemer die „Pfälzer
Weinterrasse“ selbst. Nach heutigen Maßstäben ent-
sprach diese Weinstube (siehe Postkarte auf der fol-
genden Seite) mehr dem Charme einer früheren „Bahn-
hofskneipe“. Bei der Einweihung unterhielt ein Pfälzer
Mundartdichter, der „Bellemer Heiner“ (in hochdeutsch:
Heinrich Bellheimer) die Gäste mit Geschichten im Pfäl-
zer Dialekt. Es wird berichtet, dass die meisten Sauer-
länder die Geschichten mangels Erfahrung mit diesem
Dialekt überhaupt nicht verstanden.
Winzerfamilie brachte den Aufschwung
Dann jedoch übernahm die Winzerfamilie Reiss aus
Kinheim an der Mosel die Weinterrasse. Während Karl
Reiss in der Woche das Weingut an der Mosel bewirt-
schaftete und nur am Wochenende die Versorgung des
Lokals mit weiterem Wein sicherte, führte seine Ehefrau
Hilde Reiss die Weinterrasse in Saalhausen. Ihr kleiner
Sohn wohnte zeitweise mit der Mutter in Saalhausen
und erinnert sich noch gut an die Weinterrasse.
Von Nah und Fern pilgerten Gäste bei gutem Wetter
zum Weintrinken auf die Terrasse, vor der drei Straßen-
laternen mit Lampen in Form von Weintrauben hingen.
Doch wie passt der Konsum von Wein ins Sauerland?
Der gebürtige Saalhauser Karl-Heinz Stubenrauch,
Zu diesem Zeitpunkt gab es zu dem Gebäude noch kei-
ne befestigte Straße, auch noch keinen Anschluss an
die öffentliche Kanalisation. Das Gebäude stand ziem-
lich isoliert am Waldrand und das Abwasser wurde in
Gruben gesammelt, die in (un-)regelmäßigen Abstän-
den entleert wurden. Wie sich später herausstellte, war
diese Konstellation ein maßgeblicher Grund für die
Am Haus am Waldrand entstand die Weinterrasse
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