Saalhauser Bote Nr. 15, 2/2004


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Erlebnisse und Begebenheiten aus 30 Jahren Landarztpraxis

Hier ein weiterer Ausschnitt aus dem neuen Band mit Anekdoten von Dr. Peter Wolf. Den kompletten Band können Sie über den Buchhandel erwerben.


Mien Hiärte...


Onkel Willem, einer der klassischen „Äomen“1 noch, kam den Ansprüchen seiner Erben zwar nach besten Kräften entgegen, doch gab es immer noch reichlich Stoff für Differenzen. Dazu trug wohl auch seine ausgeprägte Schwerhörigkeit bei, die ihn sehr misstrauisch gegen alles und jeden machte.

Unausgegorene Seelenspannungen verlagerte er psychosomatisch in die Herzgegend, und so war der Ausruf: „Mien Hiärte! Iäk hiäb et all wiär säou met mien Hiärte!“2 eine seiner beliebtesten Lebensäußerungen. Dabei schlug er sich wie ein Sauerländer Tarzan mit beiden Fäusten gegen die Brust: „Uh, uh...!“ (Ich hatte immer die Sorge, dass ich bei diesem offensichtlichen Theater dennoch eines Tages mal einen Herzinfarkt übersehen könnte.)


Als mich an einem Dezemberabend gegen elf Uhr seine Nichte anrief, sie hätte mit ihrem Mann noch gesellschaftliche Verpflichtungen, und "ob ich nicht noch mal eben nach dem Onkel Willem seinen Herzen schauen wolle..." , wusste ich, dass ich fahren musste.

Das ganze Haus war dunkel. Die Nichte schon weg, und Onkel Willem reagierte nicht auf mein Schellen: Stark, energisch, Sturm! Aber keine Reaktion. Auch nicht bei Daueralarm mit Hilfe einer neben den Klingelknopf geklemmten 20er Kanüle.

Als ich ums Haus ging, entdeckte ich einen schmalen Streifen des bläulichen Fernsehlichts in einer Jalousielücke des Wohnzimmers.

Auf mein lautes Rufen und Klopfen auch jetzt keine Reaktion.

Ich schob die Jalousie fast ganz hoch. Da sah ich Onkel Willem vorgebeugt, spreizbeinig und offensichtlich galoppierend im Fernsehsessel. Beidhändig feuerte er aus den ausgestreckten Zeigefingern. Die Bildschirm-Indianer in wilder Flucht vor Onkel Willems Wüten. Doch der kannte kein Pardon: „Pch, -pch- pchpchch!“ Gnadenlos brüllten seine Colts! - „Pch. Pch!“

Der Kopfhörer schirmte den wilden Rächer gegen jedes Außenweltgeräusch ab. Auch mein beidhändiges Winken vor der Fensterscheibe fiel in dem Actionwirbel der Mattscheibe überhaupt nicht auf. -

Da musste ich resignieren. Nach einer Viertelstunde packte ich fluchend meine an der Haustür abgestellte Tasche und stapfte wütend zurück zu meinem Geländewagen. Genau gesagt, ich wollte. Aber ich hatte kaum die Treppe erreicht, da rasselte mit ohrenbetäubendem Getöse die verklemmte Jalousie herunter. Und dieser ungewöhnliche, kombiniert optisch-akustische Starkreiz schaffte es tatsächlich, den ollen Äomen aus seiner Western-Trance zu erwecken.

Die Haustür flog auf, Onkel Willem in schlappenden Hauspantoffeln raste mir hinterher:

Dokter“, brüllte er lauthals, "Dokter! Nit futtfäuern! Aiß Blaudruck miäten. Iäk hiäb et all wiär so met mien Hiärte." !!!3


______

1Altdeutsch „Ohm“. Einer der unverheirateten Onkel, denen lebenslang auf dem Hof Kost und Logis garantiert waren. — Als Erblasser häufig umschwärmt.

2 „Mein Herz! Ich hab es wieder so am Herzen.“

3 "Doktor! Nicht wegfahren! Erst den Blutdruck messen. Ich hab es wieder so am Herzen !!!"


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