Saalhauser Bote Nr. 17, 2/2005


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Unsere Zeitungsfrau

- Von Peter Wolf -


Die Klappe unseres handgeschmiedeten Briefkastens knarrt infernalisch. Beim Öffnen und Zuklappen hallt ihr Lärm durch das ganze Haus. Einzig unsere Zeitungsfrau vermag den Briefkasten nahezu lautlos zu öffnen.


In der Morgendämmerung, exakt um halber Fünf, wenn die Amsel pünktlich ihre Koloraturen anstimmt, horcht meine Frau manchmal auf: "Da! – die Zeitung." Dann hat sie mit ihren sensiblen - vom Lauschen auf die Heimkehr der Kinder - geschärften Sinnen einen Knacks geahnt oder ein leises Vibrieren.


Gestern blickte ich um diese Stunde durch die Jalousien unseres Schlafzimmers. Da sah ich die zierliche Gestalt der Zeitungsfrau. Ich kenne die Zugewanderte nur flüchtig von seltenen Begegnungen, wobei sie unseren Gruß kaum hörbar erwidert und scheu, mit gesenktem Kopf vorüberhuscht.


Gestern verharrte sie plötzlich in der Hauseinfahrt, und beugte sich an der Böschung über einen Strauch mit gelben Teerosen. Die herrlich duftenden Blüten umfing sie mit beiden Händen und senkte ihr Gesicht ganz dicht darüber. Ich sah, wie sie tief atmend ihren Duft einsog und ganz verzaubert dastand.


Als sie sich wieder aufrichtete, wirkte sie wie betäubt. Ich hätte gern ihr Gesicht gesehen, als sie ihren Weg fortsetzte.



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