Saalhauser Bote Nr. 14, 1/2004
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Nach 57 Jahren


Von Adelheid Lehrig,

geb. in Krainsdorf, verh. in Walditz, Grafschaft Glatz, heute: Saalhausen, Sauerland



Rathaus Neurode


Nach 57 Jahren schweifen die Gedanken noch immer in die geliebte Heimat, aus der wir vertrieben wurden, mit einem Kleinkind von sieben Monaten. Die Polen auf dem Anwesen meines Mannes waren Galizier und selbst vom Russen vertrieben. Ich sollte das Kind da lassen ! Wer hätte das getan ?


Mit Pferdewagen ging es bis Glatz in das ehemalige Finanzamt. Die sanitären Verhältnisse waren katastrophal. Die Polen brachten uns noch ein gebratenes Huhn und eine Kanne Milch nach Glatz.


Dann ging es zum Bahnhof.Wir wurden in Viehwagen verladen.

Die Fahrt ging über Kohlfurt. Wir bekamen Läuse-Puder in die Haare und Schlüpfer. Dann tauchten Leute auf mit Mützen, Britische Mission ! Das gab Hoffnung.

Weiter ging es bis Marienborn, da kamen wir in Personenwagen, konnten auch mal Verpflegung aufnehmen. Weiter nach dem Wellersberg in Siegen. Mit dem Zug zu nächtlicher Stunde bis Finnentrop, dann per Lastwagen nach Saalhausen.


Es waren ja mehrere Familien unseres Dorfes. Wir wurden nach Rameil-Lutzen eingewiesen, sind nicht schlecht aufgenommen worden. Ich durfte im Wäschekessel gleich Wäsche machen. Beim Bäcker Heimes bekamen wir ein Weißbrot.

Die erste Woche volle Verpflegung. Samstag angekommen, war ich Montag mit Lutzen Opa zum Dornen, er fuhr am Mist., das wollte er mir zeigen, als er sah, dass ich es konnte, hat er nichts mehr gesagt.

Mein Mann war Pferdekutscher bis 1. November, dann ging er zur Firma Hamecke. Die Oma war Kindermädchen und der Opa hat Kühe gehütet in der Kirschlade.


Die Lutzen Oma hat dem Kleinen Weihnachten ein Jäckchen und eine Mütze gestrickt. Wenn der Kartoffelkorb leer war, bekamen wir welche, was nicht bei allen der Fall war.

Der Familie ist man noch heute verbunden. Die Gegend mit Wald und Bergen kommt der Heimat nahe. Zwei mal bin ich da gewesen. Kinder und Schwiegerkinder auch.

Meine Eltern wurden eine Woche später vertrieben und kamen nach Ostfriesland. Die Mutter hatte Lungenentzündung bekommen. Sie starb den dritten Tag in Wilhelmshaven im Krankenhaus. Sie war schon 3 Wochen beerdigt, ehe wir uns über eine Adresse im Harz gefunden hatten. Der Vater verunglückte zu Tode, wurde vom Erntewagen überfahren. Eine Schwester starb an Krebs im Alter von 42 Jahren. Sie schrieb mal, in einer Woche neun Kartoffeln verbraucht zu haben! Dies mit Schwiegervater, Mann und zwei Söhnen, 15 und 9 Jahre.



Der Hof meines Mannes in Walditz


Ein Pole bei meinen Eltern war unberechenbar ! Er war Bürgermeister, vor dem jeder Angst bekam! Er hatte nur Saufen im Kopf. Wenn er kam, schoss er in die Luft. Da musste mein Bruder Kartoffelschnaps holen. Den Vater hat er einmal verprügelt, dass der Hals ganz dick war, fast wie ein Kropf. Das Gebäude ist kurz nach der Vertreibung abgebrannt.





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