Saalhauser Bote Nr. 16, 1/2005


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Mein kleines Dorf





Kleines Dorf, ich habe dich gesucht. Als ich nach dir fragte, war ich auf der neuen Straße schon an dir vorbeigefahren. Asphalt, Dämme, Brücken, ich habe dein Tal nicht erkannt.

Du zeigst deine hässliche Seite, Blechwand, Abwässer, überwucherte Reifen. Du hast doch Giebel in Fachwerk, einen Bach mit Fischen wo ist er geblieben -‚eine Kapelle, eine Bank unterm Baum.


Einst war der Weg weit übers Gebirge zur Kleinstadt mit Bahn, Apotheke, Gericht. Großvater war einen Tag unterwegs. Auf der Höhe das Gasthaus für einen Schwatz und einen Korn. Am Abend kehrte er heim mit dem Ochsenge­spann.


Kleines Dorf, wo sind deine alten Höfe, der Stolz freier Bauern in Jahrhunderten? Aussiedlung nach grünem Plan:

die Gebäude in den Händen von Maklern und Spekulanten, an den Fenstern fremde Gesichter, asphaltierte Flächen, parkende Autos, kein Dung und kein Stall.


Kleines Dorf, riechst du noch den Duft von Heu an heißen Junitagen? Hörst du noch im August das Brummen der Dreschmaschine, in der verschneiten Straße am Abend das Muhen der Kuh, das Klirren von Ketten? Siehst du noch den weißen Rauch von Holzfeuer aus dem Schornstein steigen? Hast du vergessen, dass wir einst spielten als Kinder am Bach und jagten Forellen?


Kleines Dorf, achtet noch einer das Läuten am Abend und faltet die Hände und spricht ein Gebet?

Wie konntest du all dies verkaufen für Geld und Gewinn!


Traum meiner Kindheit, ich habe dich gesucht, mein kleines Dorf.


Paul Tigges



Entnommen dem Bändchen "Konturen", Christine-Koch-Gesellschaft, Kleine Reihe, Band 9, Verlag: Grobbel, Schmallenberg.




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