Saalhauser Bote Nr. 16, 1/2005


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27. April 2004, Der Tag, an dem Kathinka starb

- von Peter Wolf -


Kathinka, das war keine Hausgehilfin aus dem Osten und auch keine slawische Erbtante. Nein, Kathinka war unsere Hausschlange, die sich im Sommer an der Terrasse auf den Steinen der Natursteinmauer sonnte und sich bisweilen sogar über den Rand des Gartenteichs hinauswagte, um , den Kopf auf ein Seerosenblatt gestützt, den Teichfröschen und rotbäuchigen Teichmolchen aufzulauern. Sobald unser Thermometer zumindest 25 Grad anzeigte, kam sie aus ihrem Winter- Sommer- Versteck durch eine der winzigen Spalten in der Mauer geschlängelt, nachdem sie zuvor angespannt züngelnd das Terrain sondiert hatte. Dann aber klomm sie geschickt und geschmeidig zwischen Hauswurz und Mauerpfeffer an der Wand aus Wackersteinen empor; auch in den gut einen Meter hohen glatten Pflanzkübeln mit glatten Betonwänden haben wir sie schon angetroffen. Oben angekommen, rollte sie sich meist in einem Mauerwinkel zusammen wie ein Segeltau und ließ ihre Betriebstemperatur von den reflektierten Sonnenstrahlen aufheizen. Offensichtliches Genießen und Energietanken. Eine Katze würde dann behaglich schnurren. Kathinka war „unsere“ Schlingnatter, ein ungewöhnliches Prachtexemplar, offenbar ein Weibchen mit graubrauner Färbung und dunklem Fleckenmuster, das im ersten Augenblick auch an eine giftige Kreuzotter denken ließ. Ihre ungefähre Größe konnten wir an hand eines im Vorjahr gefundenen „Natternhemdes“ bestimmen, das sie beim Häuten an Schieferplatten bei der Terrasse abgestreift hatte. Es war unversehrt und mit 82 Zentimetern hat es offensichtlich einen Rekord der Coronellen-Gattung aufgestellt.

Unsere ersten Kontakte rühren aus dem vorvergangenen Jahr, als meine Frau Marion bei einer ihrer Reinigungsaktionen unmittelbar über dem Praxiseingang ein zwischen den Schieferplatten der Fassade abgestreiftes Natternhemd entdeckte. Leider war es zerrissen und unvollständig. Kurz nach diesem Fund begegneten wir der Schlange am Treppenaufgang und später bei den Pflanztrögen der Terrasse. Damals flüchtete sie sofort.

Erst im letzten, dem Bilderbuch- Sommer, verlegte sie ihren Wohnsitz endgültig in die Terrassen - Region. Ich lernte, mich der scheuen Natterndame zu nähern, ohne dass sie sogleich die Flucht ergriff. Mit vorsichtigen Schritten konnte ich mich heranpirschen und mich ganz behutsam knapp einen halben Meter neben ihr auf die Mauer setzen. Dabei gelangen mir einige ungewöhnliche Farbaufnahmen, die sogar die Beachtung der Lokal-Presse fanden. Meine Frau betrachtete diese meine Kontakte mit Skepsis. Einmal, weil ihr die Furcht vor Käfern , Schlangen, Mäusen und anderen Raubtieren - wie den meisten Ladies - angeboren ist. Und dann dauerte es eine ganze Weile, bis ich sie von der Harmlosigkeit unserer Untermieterin überzeugt hatte. Nur wenn ich ihr ( der Schlange ) mit den Fingerkuppen ganz, ganz sachte über den Rücken strich, wandte Marion sich entsetzt ab.

Sonst aber wurde die Schlange von der Familie als Haustier akzeptiert. Auf Vorschlag rumänischer Freunde hatten wir sie „Katharina die Große“ getauft, kurz und familiär einfach „Kathinka“. Beobachtungen und Begegnungen weckten sogar das Interesse unserer Burschen. Marion begegnete ihr bisweilen in der weiteren Hausumgebung, wenn der verlockende Duft von Eidechsen und Blindschleichen Kathinkas Appetit geweckt hatte.


Im Hochbeet traf ich im Herbst zwei handlange noch dunkel gefärbte Winzlinge an, die ich fotografierte. Eine Jungschlange hatte sich sogar unter der Schieferfassade des Hauses im Netz einer riesigen Kreuzspinne verfangen, bewegungsstarr wie ein ins Seil gestürzter Bergsteiger. Sie litt offensichtlich unter Kreislaufproblemen. Aber als ich sie auf festen Boden setzte, glitt sie mühelos davon und verschwand im Gesträuch. Auch vor dem Treppenaufgang vor der Küche gerieten einmal zwei Jungnattern vor Marions fleißig fegenden Besen. Wir konnten also sicher sein, dass Kathinka in diesem Jahr für Nachwuchs gesorgt hatte.


Am 25. April huschte mir in der Mittagszeit die erste Eidechse dieses Jahres über den Gartenweg. Da wusste ich, dass ich auch nach ihrer Todfeindin Kathinka Ausschau halten musste.

Marion entdeckte sie als erste. Und am Nachmittag konnte ich ein aus der Mauer am Teich herausragendes Kabel bei genauem Hinschauen als das Hinterteil unserer Schlange identifizieren, die sich in ihr Versteck zurückzog. Aber nach einigen Minuten atemlosen Verharrens sah ich dann auch ihren Kopf mit nervösem Züngeln wieder hervorkommen. - Wir alle freuten uns, denn mit unserer Hausschlange war auch endgültig die helle und warme Jahreszeit eingekehrt, und es war fast wie die Begegnung mit einem guten Bekannten, den man seit langem vermisst hat.

Die Hausfrau hatte ihre Schlangenangst, die„Serpentophobie“, überwunden, und Stefan als Lateiner wusste zu berichten, dass schon bei den Alten Römern Hausschlangen als Glücksboten angesehen und dem Kreis der „Laren“ zugeordnet wurden (so hießen vormals die römischen Hausgötter). Auch in der Mythologie unserer germanischen Urahnen spielten Schlangen eine Rolle. - Und ich träumte schon davon, mit meiner neuen Tele-Kamera Passfotos von unserem Haustierchen zu machen....

Da riss mich gestern Mittag ein hysterischer Aufschrei meiner Frau aus beschaulicher Siesta:

Peter, Peter!“ schrie sie mit überschlagender Stimme, „Peter,- schnell -, - ganz schnell -, die Schlange....!“ Wild trommelte sie mit beiden Fäusten gegen die Scheibe der Terrassentür, die sich offensichtlich nur schwer öffnen ließ. Als ich herbeihastete, gab die Tür nach mit einem lauten Ruck, Marion stürzte ins Freie und starrte suchend in den Himmel. Gestammelte Wortfetzen: „ ...Riesenvogel ... , - rot, braun, - sooo groß ! - ... aus der Mauer gezerrt - Kathinka weggeflogen...“

Ich ahnte, dass etwas Ungeheuerliches geschehen war. Offenbar hatte ein Raubvogel unsere Hausschlange entführt. Nur wenige Meter vom Haus entfernt- vor den Füßen meiner entgeisterten Gattin, die vor machtloser Wut und vor Entsetzen bebte. Da nahm ich sie erst einmal in die Arme. Aber sie ließ sich nicht beruhigen. „ Da drüben, da... !“ zeigte sie aufgeregt in Richtung des alten Kirschbaumes.

Ich ließ sie los und pirschte vorsichtig zu dem Baum hinüber, in dessen Nähe ich den Räuber mit seiner Beute vermutete. War es etwa der freche Rotmilan gewesen, ein Bussard oder wer auch immer ? - Ich schritt angespannt, lauernd, wie ein John Wayne zum Duell. - Plötzlich, ganz urplötzlich, erhob sich vor mir ein riesiger Schatten hinter der Buschreihe und schwang sich mit mächtig rauschenden Flügelschlägen in die Luft. Noch bevor er hinter den Douglas-Tannen in Richtung Waldrand verschwand, erkannte ich, dass es ein junger Mäusebussard war, den ich bei der Mahlzeit gestört hatte. In den Fängen hielt er noch die restliche Hälfte unserer Kathinka...-

Das gab mir einen scharfen Stich durch die Brust.

Vergeblich versuchte ich, meine Marion zu beruhigen, in deren Augen es verdächtig schimmerte. - „Fressen und Gefressenwerden ist Naturgesetz. Und unsere Schlange hat schließlich auch vom Töten gelebt: Kleinere Schlangen, Eidechsen, Blindschleichen...“ Aber sie hörte mir gar nicht richtig zu. - Noch am Abend verfluchte sie den räuberischen Bussard und wünschte ihm die schlimmsten Bauchkoliken beim Verdauen seiner Beute. In der Nacht schlief sie sehr unruhig, verfolgt von hektischen Albträumen.


Bis heute ist der Tag, an dem Kathinka starb, ein zentrales Familienthema. Wir alle hoffen, dass wenigstens ein Teil der Jungschlangen überlebt hat und eines Tages den Platz an der Brunnenmauer übernehmen wird.



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