Saalhauser Bote Nr. 40, 1/2017
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Tagebuchaufzeichnungen von Clemens Schütte Sen. 1917 – 1918 in Belgien und Nordfrankreich

von Heribert Gastreich

Stefan Schütte vom Lebensmittelgeschäft „Nah & Gut“ überließ uns zur Einsicht ein kleines Heft, das sein Großvater Clemens Schütte während des 1. Weltkriegs geführt hat. Dieses Heft enthält auf der zweiten Seite den Stempel „Armierungs-Bataillon 108, 1. Compagnie, Militär-Eisenbahn-Direktion“.

Clemens Schütte listet auf den ersten Seiten des Heftes mehrere Korporalschaften auf, mit Angabe der zuständigen Unteroffiziere. Er selbst hat seinen Namen bei der 10. Korporalschaft eingetragen, mit dem Zusatz „Ordonanz“.

Eine erste Datumsangabe findet sich auf Seite 7: 18. September 1917. Der Schreiber notiert zunächst im Wechsel seiner Dienstzeiten und Urlaube Wäsche- und Einkaufslisten. Es folgen „Bestellungen für die „Cantine“, z. Bsp. Batterien, Leim, Kautabak, Wurst, die sämtlich mit den jeweiligen Auslagen verzeichnet sind. Diese Aufstellungen enden mit der Seite 18.

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Clemens Schütte Sen.
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Tagebuch von Clemens Schütte Sen.
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Oberstadt von Laon mit der Kathedrale

Ab Sonntag, den 16. Dezember 1917 benutzt Clemens Schütte das Heft als Tagebuch:

Wir sind hier ja wohl weit hinter der Front, doch die inneren Angelegenheiten der 1. Kompanie sind zu interessant, um sie für immer zu vergessen. Da war heute die Küchen-Kommission zum Leutnant berufen, um über Beschwerden, die in letzter Zeit immer lauter wurden, zu sprechen. Wie ich von Schmidt und Meierhofer heute Abend erfuhr, hat kein Mensch etwas gesagt. Unteroffizier Eichheimer, auch der Küchen-Kommission angehörend, sagte noch vor Kurzem zu uns, er wollte dem Leutnant den Standpunkt schon klarlegen und nun sagt auch kein Mensch was. Der Leutnant hat ihnen ja auch gleich gesagt, wo sie dran sind, dass seine Anordnungen gerecht (sind) und keiner wagen sollte, einfach das Maul darüber aufzureißen. Das ist das Recht des deutschen Soldaten, dass er das Maul zu halten hat. Wofür wird denn eine Küchen-Kommission gebildet, wenn sie nicht Beschwerden der Mannschaft anbringen soll. Von der großen Gerechtigkeit in unserer Kompanie habe er vergangene Woche zur Genüge erfahren. Wie ich hörte, ist der Heinrich Halm aus der Kantine schon wieder in Urlaub. Im Oktober ist er erst 3 – 4 Wochen daheim gewesen. Man hat keine Worte dafür. Unsereiner kann begründete Urlaubsansprüche haben, welche sowohl vom (…-)amte als auch vom Generalkommando genehmigt sind und werden von der Kompanie verworfen. Der Herr Halm braucht das alles nicht. Der schickt dem Herrn Leutnant einige Paketchen von daheim und kann fahren, wann er will. Das ist der preußische Kommiss. Man hat ihn doch zur Genüge kennengelernt“.

Sonntag, den 23. Dezember Unser Kommando hier in Neuvillers feiert heute schon Weihnachten. Der Feldwebel wollte kommen und die Bescherung vornehmen, aber wegen zu großem Kater kann er nicht kommen. Liebel von der Schreibstube und Offizier Wilhelm Schulzki waren hier. Es war ziemlich eintönig. Der Weihnachtsbaum war ja ganz schön. Wir hatten ihn im Saale des Cafés, der Kirche gegenüber aufgestellt. Nachdem die Geschenke ausgeteilt waren - die Leute waren fast alle zufrieden damit -, jeder erhielt ein Zigarettenetui mit fünf Mark Inhalt von dem M.E.D.i, ein schönes Stück Wurst, ein Pfund Kunsthonig, Tabak, Zigarren und Zigaretten und noch ein Teil, entweder Pfeife, Hosenträger und Messer, wurde vor der Kirche eine allgemeine Aufnahme gemacht mit dem Christbaum in der Mitte. Hiermit war die Feier beendet und jeder suchte wieder sein Quartier auf.

Den 31. Dezember 1917 Heute Abend wollte (ich) so recht mit den anderen und in Libramont ein wenig Sylvester feiern. Da bekomme ich in Betrix telefonisch Nachricht, dass ich noch heute Abend zum (…-)amt und von dort aus zur Kompanie muss.

Den 1. Januar 1918 In der Kompanie auf der Schreibstube. Haben wenig von Sylvester gemerkt. Aber ich höre, dass die neue Urlaubsliste zurück wäre, worauf auch ich stehe mit 10 Tagen Urlaub. Ganze 10 Tage hat man mir gegeben. Ich möchte nur gern wissen, nach welchem Grundsatz die Aufstellung der Liste erfolgt. Der eine hat 14, der andere 12, 10 oder 7 Tage Urlaub.

Ostern, den 31. März 1918 Heute muss ich doch noch einmal einiges mit verewigen. Ich sitze auf der Schreibstube der Mebau 35ii in Ham und merke nichts von Ostern. Vorgestern sind wir erst von St. Quentin mit dem Auto nach hier gekommen und heute sind wir schon wieder am Einpacken, da es noch weiter nach Roye geht. Es gibt viel mehr zu sehen. Wie können die daheim so froh sein, dass der Krieg nicht im Lande sich abspielt. Es sieht hier doch fürchterlich aus. St. Quentin ist ein Schutthaufen. Es ist zum Weinen, wenn man all die Möbel usw. auf denen die Menschen herumliegen, sieht. Hier in Roye ist es gerade so. Ich war da in einer Villa mit kostbaren Möbeln. Das Haus ist unbeschädigt, aber im Inneren ist alles durcheinander gewürfelt. Es ist eine Schande, dass die Kirchen so demoliert wurden. Die feinsten Schränke, Betten, Uhren, lagen nur so umher Die Deutschen müssen unerwartet gekommen sein. Man sieht, wie die Leute vom Kaffee aufgestanden und nur davongerannt sind. Auf dem Wege von St. Quentin nach Roye lagen die Toten noch herum. Schauerlich.

Ostermontag, den 1. April 1918 Lieber wäre ich doch bei der Kompanie geblieben, denn hier bei der Mebau ist es nun ganz (?) Keine geregelte Arbeitszeit, keine richtige Verpflegung, alles ungeordnet. Gestern gar kein Brot erhalten und für heute erhalten wir das Brot erst nachmittags fünf Uhr. Ebenso das Mittagsessen.

Dienstag, den 2. April Heute wieder Umzug mit Auto nach Roye. Auf dem Wege dorthin lagen überall noch die Toten. Im Dunkeln kamen wir an, kein Quartier, keine Verpflegung. Zuletzt finde (ich) auf dem Bahnhof im Keller mit noch einem Sattelburschen Platz zum Schlafen.

Mittwoch, den 3.4.18 Den heutigen Tag werde (ich) nie vergessen. Es war gegen fünf Uhr morgens, als ich durch die Schreie der Kameraden erwachte. Es hatte einer von den Eisenbahnern Petrol in den Ofen geschüttet. Dabei hatte die Petrolkanne Feuer gefangen. Er hatte noch die Geistesgegenwart, damit zur Tür zu rennen. Unglücklicherweise war diese von außen verriegelt und muss ihm die Kanne dann dahin gefallen sein. Als ich zur Tür wollte, war die ganze Treppe in Flammen. Im ersten Moment wusste ja niemand, was los war. Ich glaubte nichts anderes als dass ein Flieger Brandbomben geworfen hätte. Es waren schreckliche Minuten.

Donnerstag, den 6.4.1918 Die letzte Nacht wurde mächtig hin und her „gefunkt“. Einige schlugen gar nicht weit von unserem Quartier ein. Auf den Bahnhof darf man sich gar nicht hinwagen, da hat schon mancher sein Leben lassen müssen.

Sonntag, den 7. April 1918 Heute wird schon wieder umgezogen. Es ist hier doch zu langweilig. Wir ziehen nach Nesle und müssen wir etwas weiter nach Languevoisin-Quiquery. Hier sind wir auf einem Gute eingezogen. Den Verhältnissen nach liegen wir hier gut.

Sonntag, den 8. April 1918 Es ist eine Schande, wie die Engländer die deutschen Gräber von 1914 und 1916 zertrümmert haben. Die Denkmäler sind zertrümmert und dann haben sie noch hohen Draht mit Dachpappe herumgezogen.

Samstag, den 27. April 1918 Heute haben die feindlichen Flieger Nesle heimgesucht. Es war gegen fünf Uhr nachmittags, als plötzlich ca. 15 Bomben geworfen wurden. Es hat wieder mehrere Tote und Verwundete gegeben. R.E.B.K.iii 22 hat zwei Tote und drei Verwundete. Unsere Kompanie hat auch vier Verwundete, darunter Heinrich Gerke aus Langewiese. Genaueres habe ich nicht gehört. Die Kompanie war gerade angetreten gewesen, als der feindliche Flieger kam. Diese Schurken kommen in letzter Zeit immer mit deutschen Abzeichen.

27. Juni 1918 Die schönen Tage von Languevoisin-Quiquery sind vorbei. Heute geht es nach Gruny bei Roye. Da ich morgen früh in Urlaub fahre, mache (ich) den Umzug erst nicht mit, sondern fahre von Nesle ab. Ich brauche dann nicht die gefährliche Strecke über Chaulnes zu fahren, die täglich unter Feuer liegt. Auch der Bahnhof Roye ist wegen seiner vielen Fliegerangriffe gefährlich. Vor kurzem schlug erst noch eine Bombe in einen Urlauberzug in einen Waggon, woraus keiner soll lebend herausgekommen sein.

Juli, den 20ten Die drei Wochen Urlaub sind nur zu schnell herumgegangen. Es waren schöne Tage. Der kleine Clemens wusste wenig vom Abschied. Als ich von seiner Mutter mich verabschiedete, und ich ihr den Abschiedskuss gab auf dem Kontor, sagte er: „Lass doch die Mutter gehen“. Es war mir zu schwer ums Herz, um darüber zu lachen. Hier bei der Hebau hat sich während des Urlaubs nichts geändert. Es sind nur noch 18 Mann (vom alten Bestand) von 46 übrig geblieben. Auch drei von unserer Kompanie müssen zurück.

Juli, den 27ten Heute nach fünf Tagen glücklich bei der Kompanie gelandet in Courlandon bei Fismes.

28. Juli 1918 Heute Nachmittag sind Tüngst und ich mit zur Arbeit gewesen in Crugny und haben Schwellen aufgeladen. Hier war alles geräumt. Unweit des Bahnhofs liegt auch ein Lazarett, aus welchem heute viele beerdigt wurden. Auf Bahren wurden die Leichen, die meistens in ein Papier oder ein Tuch eingewickelt waren, auf den Friedhof gebracht. Am Grabe angekommen, wurden sie auf Kommando wie ein Stück Holz hineingeworfen. Eins, zwei, drei, ein Wurf, ein klatschender Aufschlag, das ist die Beerdigung eines Kriegers kurz hinter (der) Front. Einige meinten da noch, es wäre doch besser als bei dem Engländer. Da hatten sie schon Gräber gefunden, wo die Krieger ihre letzte Ruhe mit Tierkadavern teilen mussten. Das ist der Krieg.

29. Juli 1918 Mit Tüngst aus Siegen bin ich zum Postholen aus Laon von jetzt ab bestimmt worden. Aber einem Postordonnanz Philipp Ittner wird es zu viel. Es dauert nämlich fast drei Tage jetzt mehr. Infolge des Rückzugs ist auf der Bahn ein schreckliches Durcheinander. Dies ist noch gesteigert worden durch die vielen nächtlichen Fliegerangriffe auf die Bahnhöfe. In St. Ermes‘ Bahnhof Fismes sind vorgestern auch unsere Munitionszüge in die Luft geflogen. Alles brennt noch und welch eine Verwüstung! Von Gleis und Wagen ist kaum noch etwas zu sehen.

1.August 1918 Heute ist schon der erste August und wir sind immer noch in Laon. Die Züge nach der Front zu sind dermaßen überfüllt, dass wir mit den Postsäcken schon zwei Tage nicht mitkamen.

Den 2. August 1918 Gestern Nachmittag bin ich mit der Post angekommen, muss um sechs Uhr Ordonnanz noch zum Kodeis 7iv nach Maizy. Zugleich kam auch der Befehl, dass die Kompanie schon um sieben Uhr abmarschieren sollte zum Waldlager Pontavert. Die Franzmänner waren also doch nicht mehr aufzuhalten. Es fing schon an dunkel zu werden, als ich nach Maizy kam. Kodeis 7 hatte auch schon gepackt zum Rückzug. Tage zuvor war die Zivilbevölkerung zurückgeschafft worden. Sie hatten alles stehen und liegen lassen müssen und eben nur das Allernötigste mitnehmen können. Von Maizy fuhr ich mit der Kleinbahn noch Roucy und wollte bis Pontavert fahren und wollte mich dort an der Haltestelle mit Paul Tüngst treffen und von dort uns zusammen wieder nach Hause fahren. Ich traf ihn schon in Roucy auf dem Bahnhof. Aber da andauernd Flieger in der Höhe waren und der ganze Bahnhof voll Munition stand, zog ich es vor, zu Fuß nach Pontavert zu marschieren. Auf der Straße war Kolonne an Kolonne und ein Staub zum Ersticken. In der Nähe der Aisne und der Kanal. Es war inzwischen 12 Uhr geworden, (da) ließ plötzlich ein feindlicher Flieger zwei Leuchtschirme fallen. Alles war hell erleuchtet. Die Kolonnen marschierten aber ruhig weiter. Inzwischen setzte unsere Abwehr ein. Zwei große Scheinwerfer fuchtelten dazu wie toll und es war ein Geknatter von Maschinengewehren und ein Getöse von Abwehrkanonen, dass einem hören und sehen verging. Dem Flieger sollte es wohl zu ungemütlich werden, denn Bomben hat er keine geworfen. Etwas weiter in der Luft knattert mal ein Maschinengewehr, sonst wurde es aber ruhig. Inzwischen war (ich) über den Kanal nach Pontavert gelangt und suche das Lager der Kompanie. Pontavert ist dem Erdboden gleich und (ich) suche es lange vergebens. Glücklicherweise traf (ich) einen von der E.B.K. 7v, der mir sagte, dass die Kompanie noch nicht angekommen sei. Ich gab ihm die Papiere von Kodeis 7 und begab mich wieder zur Bahn. Tüngst war inzwischen schon allein losgefahren. Ich traf ihn erst in Laon im Quartierhaus wieder.

3. August 1918 Laon ist eine alte Festung, auf einem Berge gelegen, mit schönen Anlagen ringsherum. Die Kathedrale mit ihren vier Türmen kann man stundenweit sehen. Vom Bahnhof aus führt eine große Treppe mit rund 268 Stufen bis ungefähr zur Mitte des Berges. Eine Zahnradbahn führt ebenfalls bis zum Marktplatz. Die Kathedrale, die Zitadelle und die alten Festungsmauern sind interessant, desgleichen der neu angelegte deutsche Friedhof, obwohl seine kahlen Kalksteinblöcke etwas Kaltes an sich haben. Die schimmernde Loire im Hintergrund ist ja ganz schön. Kreuze sah ich auf dem ganzen Friedhof, glaube ich, ein ganzes.

21. August Vor Mittag gingen wir heute schon zur Bahn, hatten aber Pech. Es war bereits ein Uhr nachts als wir in Laon ankamen. Zweimal waren die Flieger da und hielt der Zug still und als wir (nach) Laon hinaufstiegen, waren wieder Flieger da. Das Abwehrfeuer machte einen Höllenlärm. Ein großer Hund kam mit einer schweren Kette am Halse das Pflaster heruntergelaufen, aus Angst den Schwanz zwischen den Beinen und lief was er laufen konnte. Ich musste lachen, obwohl das ganze eigentlich nicht zum Lachen war.

Samstag, den 25. August 1918 Die letzte Nacht haben wir hier in Laon wieder wenig schlafen können. Dreimal waren die Flieger da und warfen Bomben. Um sieben Uhr war (ich) in der Kathedrale und wohnte einer Hl. Messe bei und kommunizierte gleichzeitig. Es ist einem hier so leicht gemacht und muss man diese Gelegenheit benutzen. Vor acht Tagen beichtete und kommunizierte (ich) auch erst. Bei unserer Kompanie hat man selten die Gelegenheit dazu.

Samstag, den 31. August Bin heute schon per Rad vom Lager Pontavert nach Laon gefahren, um Lehrian und Zimmermann, die die Post dort holten, zurückzurufen, da wir heute Abend noch verladen werden.

Montag, den 2. September Heute Nachmittag sind wir endlich in Somain ausgeladen worden. In der Nacht vorher auf dem Bahnhof Cambrai ließen uns die feindlichen Flieger wenig Ruhe, andauernd mussten wir in die Unterstände flüchten. Am 2. September kamen wir glücklich am Bahnhof Somain an, mussten aber noch bis Erre wandern, wo wir verhältnismäßig gute Quartiere bei Zivilisten erhielten. Man sieht hier überall die Kohlegruben (Zechen).

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Textpassage aus dem Tagebuch

Sonntag, den 11. Oktober Heute geht es wieder weiter zurück. Die Gruben sind bereits alle gesprengt, ebenso die Bahnen. Ich bin besorgt um zwei Pakete, die ich am Bahnhof von Somain aufgab. Eines nach Saalhausen und eines an Schwester Ismaela. Der Bahnhof liegt nämlich noch voll von Paketen. Bellaing heißt das neue Quartier.

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Kontoführung

12. Oktober Wir machen auch hier wieder nur Sprengarbeiten beim E.B.K.1, die auf Grube Arenburg liegt. Hierbei kommt schon wieder Befehl zum Abrücken. Es geht nach Jenlain zurück; ca. 17 bis 18 Kilometer zu tippeln. Das Gepäck tue ich auf den Wagen der Schreibstube, sonst würde ich den Marsch gar nicht fertigbringen. Die Ortschaften, wo wir herziehen, sind schon alle geräumt, auch Valencienne. Andauernd zieht das Zivilvolk ihre Habseligkeiten auf einem Karren die rückwärtigen Straßen entlang. Die alten Leute und Mütter mit ihren kleinen Kindern sind bedauernswert.

Den 14. Oktober Unsere Leute arbeiten an den Sprengungen am Bahnhof Valenciennes. Kein Stoß wird heil gelassen.

Den 15. Oktober Es war bereits fünf Uhr abends, als wir noch mit Paketchen zum Bahnhof Bavay mussten, dabei nasses Herbstwetter. Gegen halb acht Uhr, als wir dort ankamen, war die Güterabfertigung natürlich geschlossen und mussten wir in den nassen Kleidern bis zum anderen Morgen warten.

16. Oktober Gegen 11 Uhr konnten wir dann nach St. Chislain weiterfahren, um die Post zu holen. Aber langweilig ist es jetzt auf der Bahn. Wir kommen erst am Abend dort an. Palitsch und ich holten bei der Kodeis-Postverteilstelle die Post. Es waren vier Säcke und (wir) legten uns auf den Boden des Warteraums schlafen. Lehrian und Donges hatten noch Anschluss nach Ath.

17. Oktober Wir haben die Nacht verhältnismäßig gut geschlafen und fahren, wie mit den beiden anderen vereinbart, nach Mons, um uns dort zu treffen und zusammen nach Maubeuge zu fahren. Am Abend wird dieser Zug derartig voll, dass wir samt unseren sechs Säcken Post nicht mehr mitkamen und in Mons auf dem Bahnhof abermals übernachten mussten.

Am 18. mittags konnten wir erst weiterfahren nach Maubeuge. Erfahren hier leider, dass nach Bavay überhaupt keine Verbindung ist, fanden wir die nächste Station „Sous les Bois“. Auf verschiedenen Wagen kamen wir endlich dahin, haben aber keine Gelegenheit mehr nach Bavay und müssen nicht auf dem Boden schlafen. Nicht unweit des Bahnhofs kracht es noch jeden Augenblick von Maschinengewehrkugeln. Die Nacht vorher hatte ein feindlicher Flieger Bomben auf das Munitionsdepot geworfen und es sollen 30 Waggon Gewehrkugeln verbrannt sein.

Gegen vier Uhr nachmittags kamen wir dann endlich am 19. am Bahnhof Bavay an. Glücklich trafen wir unsere Fuhrwerke gerade am Bahnhof an, konnten so per Wagen mitsamt der Post zur Kompanie fahren. So umständlich ist das Bahnfahren jetzt. Allgemein wird aber wenig von den Soldaten geklagt über das Versorgen der Bahn beim Rückzug. Verpflegen lässt man sich auf der Bahn nebenbei ganz gut, deshalb kommt es auch auf diese oder jene Sorge mehr oder weniger nicht an!

20. Oktober Meine rückständige Post haben nun wohl alle erhalten. Es war dies seit dem 4. die erste Post wieder.

22. Oktober Heute fahre (ich) mit Heinrich Krämer zum Kantineneinkauf nach Brüssel. Das Bahnfahren ist aber eindeutig kein Spaß. Wir kommen erst am 23. mittags dort an.

24. Oktober Heute haben wir uns erst mal etwas ausgeruht und die Stadt besehen. Man merkt hier nicht viel vom Kriege, höchstens an den fabelhaften Preisen der Waren, die man in den Schaufenstern sieht (1 x Mettwurst 5,00). In der Brüsseler Kirmes, wo wir auch waren, ist ein Betrieb, dass wir kaum ein und aus konnten. Die Kinos waren gerade so voll. Deutsche Theater spielen heute leider keine. Um 11 Uhr waren wir aber den Klimbim leid und legten uns schlafen im Hotel Rogier.

25. Oktober Nachdem wir heute alles eingekauft hatten, fuhren wir gegen 11 Uhr abends wieder zurück. Auf dem Bahnhof Mons trafen wir am 26. zufällig mehrere Leute unserer Kompanie, die uns sagten, dass die Kompanie nach Nivelles umquartiert sei. Dort kamen wir um Mitternacht an und warteten den Morgen ab.

27. Oktober Nivelles ist ein Ort von ca. 20.000 Einwohnern. Unsere Quartiere sind ziemlich gut.

28. Oktober Heute Abend soll (ich) schon wieder fortfahren nach Mortehan und Verpflegung für die Wache dorthin bringen.

29. Oktober Um 12.18 Uhr heute Nacht sollten wir eigentlich Anschluss haben in Ottignies nach Libramont, aber unser Zug hatte fünf Minuten Verspätung. Gegen zehn Uhr kamen wir nach Namur und konnten nicht weiter, Konrad Kaiser und ich sind in den Ort gegangen, um ihn anzusehen. Tags vorher hatten feindliche Flieger mehrere Bomben in die Nähe des Bahnhofs geworfen, wodurch über 30 Zivilleute getötet oder verwundet sein sollen. Am Mittag waren wieder welche da und warfen Bomben, Ich wollte mir gerade eine Ansichtskarte in der Zeitungsbude kaufen, als die erste Bombe fiel. Der Verkäufer war aber schon getürmt und habe ich meine Karte so mitgenommen. Als wir um drei Uhr weiterfahren konnten, war in unserer Kompanie auch einer, der auch Richtung Libramont fuhr. Er hatte aber großen Durst und holte sich erst Bier auf dem Bahnhof. Inzwischen fuhr unser Zug mit seinem ganzen Gepäck fort. Als er nachher mit dem Schnellzug auch nicht kam, sahen wir mal nach seinen Sachen. Da machten wir dann unseren herrlichen Fund. In einem Kistchen hatte er einen kleinen Schinken, eine Seite Rippchen und ein Dutzend feinste Fleischwurst. Nach seinem Ausweis war er nur zum Schlachten kommandiert und sollte da wohl gehamstert haben. Wir dachten, dass die Sachen auch uns ganz gut schmecken würden und requirierten sie.

30. Oktober Heute Abend kamen wir erst in Mortehan an. Die Bahnfahrt ist einfach zum Entsetzen bummelig.

1.November, Allerheiligen Wir sind wieder auf der Rückfahrt mit zwei schweren Kisten

2. November Kamen heute früh gegen acht Uhr in Nivelles bei der Kompanie wieder an und wurden kurz darauf von der Nachmusterungskommission (Ein kd General und drei Ärzte) untersucht. Die Kompanie war am Tag vorher untersucht worden (ca. 60% k.v.vi), ich bin a.v.vii (L1 allgemeine Körperschwäche). Was mögen sie wohl noch untersuchen, jetzt, wo doch jeder auf das Ende des Krieges wartet. Dem Leutnant hatte unser Kommen zu lange gedauert und er war lange zuvor auch abgefahren zu seiner (…) nach Mortehan. Nicht genug, dass sein Bursche Konrad Kaiser erst einen ganzen Rucksack voll Frischfleisch und Brot ihm mitnehmen musste, nein er selbst hatte wiederum voll all diese Teile mitnehmen lassen von Palitsch, wie ich soeben erfuhr. Solch ein Hurenmensch ist Kompanieführer und soll für seine Leute sorgen!

4. November Soeben haben wir Kamerad Heinrich Kratz aus Butzbach das letzte Geleit gegeben. Er war vor drei Tagen erst ins Lazarett gekommen wegen Asthma und es war Grippe hinzugekommen. Es tut mir leid für seine Frau und Kind.

5. November Dieser verdammte Krieg hat doch schon viel Unheil in die Welt gebracht. Soeben schreibt mir Oma, dass sie auch bereits zwei Tage im Bett liegt, mit Grippe wahrscheinlich. Hoffentlich überwindet sie die Krankheit gut. Bei Schwester Ismaela ist das Paket von Somain nun doch angekommen, wie sie eben schreibt, desgl. in Saalhausen.

10. November Heute wurde eine Herde Ochsen durch Nivelles getrieben. Der Feldwebel sagte zu mir und Wilhelm Schmidt: „Holt mir einen für die Küche“. In dem Gewirr auf der Straße trieben wir einen in eine Seitengasse, nahmen ihn an die Hörner und brachten ihn in die Küche. So geht’s auf einem Rückzuge.

11. November Bis 11 Uhr stehen wir nun schon auf dem Bahnhof, warten auf den Zug, der nach Brüssel fährt, um die Post zu holen. Als er um halb 12 Uhr immer noch nicht da war, gingen wir erst wieder zurück, um zu essen. Es gab Ochsengulasch mit Kartoffeln, Auf dem Rückwege zur Bahn wurde beim Zivil bekannt, dass Waffenstillstand abgeschlossen sei. Sie brachten sich bald um vor Freude und überall wurde geflaggt. Beim deutschen Militär war die Stimmung nicht überall freudig. Gegen zwei Uhr kam der Zug endlich an und brachte uns nach zwölfstündiger Fahrt nach Brüssel.

12. November Am Bahnhof ist alles merkwürdig. Man sagt uns, dass der Bahnhof abgesperrt ist, weil gestern verschiedene Zwischenfälle vorgekommen seien. Ein Soldat hatte in einem Gasthause drei Zivilleute getötet und die Frau vergewaltigt. Er ist gestern Abend verhaftet worden. Dadurch mag es auch gekommen sein, dass von verschiedenen Stellen der Stadt auf Soldaten geschossen wurde. So waren auch aus einem Hotel rechts vom Nordbahnhof drei Schüsse gefallen. Das Haus war gestürmt worden und drei Belgier sollen dabei totgeschlagen worden sein. Post war für die Kompanie keine da und musste ich, da keine Bahn mehr nach Nivelles fuhr, zu Fuß gehen. Es sind ca. 31 Kilometer. Meine Füße hatte ich mir aber auch ganz wund gelaufen. Unterwegs begegneten mir andauernd zurückmarschierende Truppen. Ein interessantes Bild muss ich da noch festhalten: Hinter Waterloo kam eine Kolonne Artillerie im Trupp vorüber. Hintendrein trieb ein Artillerist eine fette Sau im Laufschritt mit. Sie mussten diese wohl einem Bauern fortgetrieben haben. Wir waren eben einige hundert Meter gegangen, da kamen dann auch drei bis sechs Zivilleute angelaufen und schrien und gestikulierten nach der Kolonne hin. Ob sie die Sau wiederbekommen haben, konnte (ich) nicht mehr erfahren, da wir weiter mussten. Bei der Kompanie erfuhren wir, als wir gegen drei Uhr bei ihr ankamen, dass sie auch bereits morgen abmarschieren sollten zu Fuß mit Bagage bis an die deutsche Grenze. Ich habe mich gleich fußkrank gemeldet und fahre mit noch 20 anderen mit dem Bauzug der E.B.K.9 in die Heimat.


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