ten auf keinen Fall Medikamente sein, sonst müsse ein spezieller Ausschuss über die Einfuhr entscheiden, doch
dies Gremium tagte nur zweimal im Jahr. Bis zu dessen nächsten Treffen säße ich dann natürlich im Gefängnis.
In Gedanken sah ich mich schon beim Einstudieren ukrainischer Weihnachtslieder.
Die richtigen Kontakte retteten die Mission in letzter Minute
Die Männer aus dem Innenministerium hatte ich gebeten: helft uns doch, damit wir euch helfen können. Natürlich
konnte ich nicht wissen, ob sie es gut mit uns meinten, oder uns reinlegen wollten. Am Freitagmorgen fiel einer
Mutter der Tanzgruppe plötzlich ein, dass ihre direkte Nachbarin beim Hauptzoll in Kiew arbeitete. Der schilderte
sie unsere Misere, woraufhin diese – auf kleinem Dienstweg - sofort die Genehmigung zum Entladen des LKW
erteilte. Der Vertreter des Zolls warf uns daraufhin wütend sämtliche Papiere inklusive Genehmigung vor die
Füße. Innerhalb kürzester Zeit wurde dann der LKW entladen. Mit dem ukrainischen Fahrer ging es dann zum
Tanken.
Für 50 US-Dollar eine komplette Tankfüllung. Währenddessen fuhr ein Militär-LKW an den Straßenrand. Während
sich ein Dutzend Soldaten zum Rauchen an die Bordsteinkante setzen, machte sich ein Kamerad von ihnen mit
einem Ledereimer und einem Stück Schlauch auf dem Weg zu einem gegenüber liegendem Parkplatz.
„Der saugt gerade Nachschub für ihren LKW ab, sonst können sie nicht weiterfahren“. Auf der Fahrt in Richtung
Westen brach die Dunkelheit herein und ein munteres Schneetreiben setzte ein. Erst im letzten Augenblick sahen
wir einen komplett unbeleuchteten Panje-Wagen vor uns (ein zweiachsiger pferdegezogener Holzwagen, der in
Osteuropa vor allem in der Landwirtschaft zum Einsatz kommt). In diesem Fall aber lag dessen Fahrer volltrunken
auf der Ladefläche. Haarscharf haben wir dies Fahrzeug auf der unbeleuchteten Straße verpasst.
Rückfahrt mit unbeleuchteten Hindernissen
Es kam noch schlimmer: Eine ältere Frau schob ihr Fahrrad - natürlich auch unbeleuchtet - von links über die
Fahrbahn. Mit einem halsbrecherischen Fahrmanöver raste ich mit dem LKW nur wenige Zentimeter an ihrem
Vorderrad vorbei. Nach den Erfahrungen der letzten Tage stand für mich fest: Bei einem Unfall hätte ich die Oma
mit bloßen Händen im angrenzenden Acker verbuddelt und mich dann in Deutschland den Behörden gestellt. Vor
dem Grenzübergang Ukraine – Polen standen wir zunächst am Ende einer ca. zwei bis drei Kilometer langen
Schlange, als urplötzlich einige dunkel gekleidete Gestalten aus der Dunkelheit auftauchten und auf unsere Tritt-
bretter sprangen. Umhüllt von einer wahren Alkoholwolke boten sie an, für uns den LKW nach Deutschland zu
fahren. Als sie dann auch noch ins Führerhaus hineingriffen, stand für mich fest:
Hier war eine Flucht nach vorne nötig. Ich legte den Gang ein und gab Vollgas. Das Trio purzelte laut fluchend
und schimpfend auf die Erde.
Weiter ging es gen Westen: An der polnisch-ukrainischen Grenzstation zogen wir an der kompletten Schlange an
wartenden Fahrzeugen vorbei und hatten Glück. Genau in diesem Augenblick wurde ein Menschenschmuggler
überwältigt, der in die Ukraine einreisen wollte. Er lag auf dem Bauch auf dem Boden, den Stiefel eines bewaffne-
ten Zöllners im Genick. Wir konnten weiterfahren. In Polen setzte heftiger Schneefall ein, Hermann kämpfte stun-
denlang mit den Verhältnissen auf schneeglatter Fahrbahn. Ein Blitzer im Hochsauerland brachte die Erkenntnis,
dass uns die Heimat nach fast 4.000 Kilometern wieder hatte. Dankenswerterweise wurde dieses Knöllchen von
TRACTO TECHNIK übernommen.
Impressionen 1995
Es sind immerhin 27 Jahre her, seit wir in Kiew waren. Es sind zahlreiche Impressionen, die sich bis auf den
heutigen Tag regelrecht im Gedächtnis eingebrannt haben. Angefangen bei der festlichen Straßenbeleuchtung,
bei der nur jede 15. bis 20. Laterne Licht spendete. Was unser Lotse zunächst grinsend als „economia“ sprich
„Wirtschaftlichkeit“ bezeichnete, stellte sich schnell als Werk von dreisten Dieben heraus, die sämtliche Elektroka-
bel samt Leuchtmitteln geklaut hatten. Im 15-stöckigen Wohnblock gab es im Fahrstuhl natürlich auch kein Licht.
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Umso größer unser Erstaunen, als der Lift am nächsten Tag gut beleuchtet war. Allerdings nur eine Stunde lang.
Dann waren auch dort wieder die Glühbirnen geklaut. Was ins Auge fiel, waren Tankstellen oder Einzelhandels-
geschäfte z.B. für Porzellan (natürlich in kobaltblau mit
ganz viel Golddekor) jeweils von mehreren Soldaten
inklusive Maschinenpistolen bewacht. In eine ganz an-
dere Welt stieß man vor, wenn man in Kiew über eine
rund 100 Meter lange Rolltreppe eine U-Bahn-Station
besuchte, die komplett in weißem Marmor erstrahlte
und mit poliertem Messing glänzte. Am Eingang zur
Station hockte trotz eisiger Temperaturen ein in dicken
Mantel gehülltes Mütterchen, das nicht betteln wollte,
stattdessen aber einen halben Apfel zum Kauf anbot.
Eine andere Frau hatte noch weniger anzubieten und
versprach, für wenige Münzen ein Gebet für den Pas-
santen zu sprechen. Was für ein Kontrast. Wenn sich
der Zustand meiner Augen in den letzten Jahren nicht Aus dem Hochhaus in Kiew bietet sich ein recht trostloser Anblick
so verschlechtert hätte, wäre ich gerne wieder in die
Ukraine gefahren, um die Erneuerung des Landes in den letzten Jahren mit eigenen Augen zu sehen. Vielleicht
nicht wieder mit einem LKW, je 2.000 km hin und zurück in 8 Tagen, sondern mit der bequemeren Variante per
Flugzeug. Leider nicht nur wegen der Augen, sondern wegen des Überfalls auf die Ukraine aktuell keine gute
Idee.
Ein Brief an die Redaktion
Vor etwas über einem Jahr habe ich eine Anfrage von einem Hamburger Bürger erhalten, der in seiner Ju-
gend in Saalhausen gewohnt und zu dieser Zeit (wahrscheinlich 1965) in einem Waldstück nordostwärts
von Saalhausen ein Kreuz mit Stahlhelm gefunden hat. Es handelte sich vermutlich um das Grab eines
gefallenen deutschen Soldaten. Als Beauftragter des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. für
die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr für Schleswig-Holstein und Hamburg habe ich mich der Anfrage
angenommen und um Klärung bemüht. Im weiteren Verlauf habe ich mit verschiedenen Stellen Verbindung
aufgenommen, so  auch mit Herrn Gniffke vom Saalhauser Boten.
Herr Gniffke hat dann u.a. einen Aufruf im Saalhauser Boten gestartet und um Mithilfe gebeten. Ich bin ihm
äußerst dankbar für seine Unterstützung und sein Engagement, das nicht hoch genug eingeschätzt werden
kann. Es ist klar, dass nach so langer Zeit kaum Zeitzeugen zu finden sind, die sich evtl. an ein Kreuz mit
Stahlhelm erinnern können und das noch dazu mitten in einem Waldgebiet nach immerhin 57 Jahren. Inso-
fern gilt mein besonderer Dank Herrn Gniffke für seine Beharrlichkeit, eine Antwort zu finden.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Oswald
Oberstleutnant a.D.
Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.
Hamburg und Schleswig-Holstein
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